26 Sep. 2025, Fr.

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Missionar in Amazonien zu sein bedeutet, sich vom Wald evangelisieren zu lassen

Die Schönheit der Ureinwohner am Rio Negro erobert die Herzen und bringt das eigene Herz dazu, sich zu verändern, zu erweitern, zu staunen und sich mit diesem Land zu identifizieren, bis zu dem Punkt, an dem es unmöglich wird, das „geliebte Amazonien“ zu vergessen! Dies ist die Erfahrung von Leonardo, einem jungen Salesianer im Herzen Amazoniens.

Wie ist die Idee, Missionar zu werden, in Ihrem Herzen entstanden?
Über viele Jahren ist dieser Wunsch in mir gereift, nachdem ich die Geschichten von Salesianer-Missionaren gehört hatte, ihr Zeugnis als Überbringer der Liebe Gottes in die Welt. Ich habe diese Brüder stets bewundert, die, nachdem sie die göttliche Liebe in ihrem Leben erfahren hatten, nicht schweigen konnten, sondern sich gezwungen sahen, diese anderen mitzuteilen, um auch ihnen die Möglichkeit zu geben, erleben zu dürfen, wie sehr sie von Gott geliebt werden. So kam es, dass ich um einen Auslandsaufenthalt bei den Missionsstätten der Salesianer in Amazonien unter den indigenen Völkern ansuchte. Im Jahr 2021 begann ich als Praktikant in der Missionsgemeinschaft von São Gabriel da Cachoeira im Bundesstaat Amazonien zu leben und zu arbeiten. Das Praktikum entwickelte sich zu einer richtigen „Missionsschule“, reichhaltig an neuen Entdeckungen und Erfahrungen, ungeahnten Herausforderungen und einer bis dahin völlig unbekannten Realität.

Was waren Ihre ersten Eindrücke, als Sie in dem unbekannten Land ankamen?
Vom ersten Moment an, als ich aus dem Flugzeugfenster blickte und die Weite des Waldes und die vielen Flüsse sah, machte es in meinem Kopf „Klick“: Ich bin wirklich in Amazonien! Wie ich es immer im Fernsehen gesehen hatte, so zeigt sich das Amazonasgebiet von überschwänglicher Schönheit, mit wunderschönen Naturlandschaften und wahren Meisterwerken Gottes, des Schöpfers. Ein weiterer, sehr schöner erster Eindruck ist es, so viele einheimische Brüder und Schwestern zu sehen, mit so auffälligen körperlichen Merkmalen, wie der Farbe ihrer Haut, ihren hellen Augen und ihrem schwarzen Haar. Wenn wir die Vielfalt und den kulturellen Reichtum Amazoniens sehen, gelingt es uns, uns an unsere eigene Geschichte, an unseren Ursprung wie Brasilien zurückzuerinnern und besser zu verstehen, wer wir als Volk sind.

 

Und warum ausgerechnet der Amazonas? Was macht diesen für Sie so besonders?
Die Kirche, einschließlich unserer Salesianischen Kongregation, ist im Wesentlichen missionarisch. In der nördlichen Region ist dies jedoch noch schwieriger, weil die Gebiete riesig sind, der Zugang – in der Regel über Flüsse – schwierig und kostspielig , die kulturelle und sprachliche Vielfalt groß ist und ein enormer Mangel an Priestern, Ordensleuten und anderen für die Evangelisierung und kirchliche Präsenz in diesem Gebiet geeigneten Führungspersönlichkeiten herrscht. Es gilt also viel und „schwere“, anspruchsvolle Arbeit zu leisten. Diese besteht nicht nur in der Durchführung der Besuche, der Predigt, der Feier der Sakramente, wie man sich ein Missionsleben vorstellen könnte, sondern vor allem, am Leben und an der Arbeit der hier lebenden Menschen  teilzunehmen, deren schwere Lasten mitzutragen und deren Entbehrungen, die Ausgrenzung und Vernachlässigung  durch die Politiker am eigenen Leib zu spüren; Stunden auf der Straße oder am Fluss zu verbringen; die Stiche der Insekten zu spüren; das Essen der einfachen Leute zu sich zu nehmen, welches mit den Gewürzen der Liebe, des Teilens und des Willkommens verfeinert ist; dem Zuhören von Geschichten  älterer Menschen, die sich oft Worten und Ausdrücken bedienen, die wir nicht gut kennen; schlammige Füße und Kleidung zu ertragen, ungeheizte Autos; ohne Internet und manchmal sogar ohne Strom zu sein. .. All das gehört zum Leben der Salesianer-Missionare in Amazonien!

Erzählen Sie uns etwas mehr über die Arbeit der Salesianer, wo Sie gelebt haben? Was tun die Salesianer für die jungen Menschen in der Region?
Eines der Ziele unserer Salesianer-Gemeinschaft in Sao Gabriel ist das Oratorium und die Sozialarbeit: Es ist der Spielplatz der Salesianer, unsere direkte Arbeit mit den Jugendlichen von „Gabriel“, die jeden Tag unser Oratorium besuchen und in unserem Haus einen Ort finden, an dem sie spielen, Spaß haben und mit ihren Freunden und Kollegen gesund leben können. Die jungen Leute hier lieben Sport, vor allem die nationale Leidenschaft, den Fußball. Da es in der Stadt nicht viele Freizeit- und Sportmöglichkeiten gibt, nehmen die Kinder unermüdlich an unserer Arbeit teil und beschweren sich, wenn es an der Zeit ist, die Tagesaktivitäten zu beenden. Unsere Tätigkeit erfasst täglich durchschnittlich 150 bis 200 junge Menschen. Außerdem bietet das Salesianische Missionszentrum Kurse für Jugendliche und junge Erwachsene an, wie z.B. Computer- und Backkurse.

Und wenn ein junger Mensch, der Sie kennenlernt und von Ihrem Charisma “angesteckt“ den Wunsch äußert, Salesianer zu werden, gibt es dann eine Möglichkeit zur Ausbildung?
Ja, seit einigen Jahren gibt es in unserer Gemeinschaft auch das „Centro de Formación indígena“ (CFI), das sich zum Ziel gesetzt hat, junge Indigene aus all unseren Missionsgemeinschaften zu begleiten und aufzunehmen, die eine Berufsbegleitung wünschen und bei der Ausarbeitung eines Lebensprojekts unterstützt werden möchten. Diese Begleitung ist das Indigene Bestreben der Salesianischen Missionsprovinz Amazonien (ISMA). Neben diesem Ausbildungsprogramm bietet das CFI Kurse in Portugiesisch, Salesianismus, Computer- und Backkurse, geistliche und psychologische Begleitung und eine schrittweise Eingliederung in das salesianische Leben an. Diese Art von Ausbildung wird in der Tat sehr von ihnen geschätzt, denn es sind die ersten Schritte auf dem Bildungsweg, die sie in ihrer Umgebung, bei ihren Leuten, mit der Zusprache und Unterstützung der Salesianer und der Laienanimateure setzen.

Sie sagten, dass es neben San Gabriel noch andere Missionsgemeinschaften gibt? Wie kann das sein? Wie funktioniert die Missionsarbeit in Rio Negro?
Unsere Gemeinde Sao Gabriel ist aufgrund der Vielzahl an Verbindungen und Dienstleistungen der Stützpunkt und kümmert sich um die Verbindung und die Logistik mit unseren Missionen im Landesinneren, insbesondere mit Maturacá (bei den Yanomami) und Iauaretê (im „Tukano-Dreieck“). In diesen Missionsgebieten gibt es keinen offiziellen Handel, und wenn doch, dann sind die Preise extrem hoch. Daher werden alle Einkäufe von Lebensmitteln, Hygieneartikeln, Material für Reparaturen und Treibstoff für Boote, die bei den „Itinerâncias“ (pastorale Besuche in den Flussgemeinden) eingesetzt werden, sowie die Erzeugung von Strom durch Generatoren in São Gabriel getätigt und dann von uns per Flusstransport an diese Orte gebracht. Es ist eine sehr intensive manuelle Arbeit, denn wir müssen einkaufen und dann als sehr schwere Lasten auf Booten zu unseren Brüdern, die in den anderen Missionen leben und arbeiten, bringen. Wir transportieren Lebensmitteltaschen, Styroporboxen mit Fleisch und mehrere „Carotes“ (Plastikbehälter für Flüssigkeiten) mit je 50 Litern Kraftstoff. Außerdem verfügt unser Haus über mehrere Zimmer, die immer zur Verfügung stehen und bereit sind, die Missionsbrüder zu beherbergen, die auf der Durchreise nach São Gabriel sind, entweder auf dem Weg zu oder auf dem Rückweg von anderen Missionsstätten. Es ist ein richtiges Unterstützungs- und Vernetzungswerk.

Erinnern Sie sich bei diesen „pastoralen Besuchen“ entlang der Flüsse an ein einprägendes Erlebnis?
Ja, natürlich, in Bezug auf die „pastoralen Besuche“ gab es eine Erfahrung, die mich tief geprägt hat, die Fahrt nach Maturacá. Diese Tage standen für uns ganz im Zeichen des tiefgehenden Erlebnisses der Begegnung mit Gott: durch die Begegnung mit dem Anderen, mit denen, die anders sind als wir, mit unserem Nächsten. Denn damals unternahmen wir einen pastoralen Besuch (Itinerância) zu den Gemeinden des Yanomami-Volkes.
Neben dem Hauptsitz der Salesianer-Missionsstätte in Maturacá haben wir sechs weitere Gemeinden besucht (Nazaré, Cachoeirinha, Aiari, Maiá, Marvim und Inambú). Es waren intensive und herausfordernde Tage. Erstens, weil die einzelnen Gemeinden sehr weit voneinander entfernt sind und der Zugang nur über die Flüsse unseres geliebten Amazonas möglich ist, die in einem motorisierten Boot („Voadeira“ genannt) bei starker Sonne oder starkem Regen befahren werden. Zweitens handelt es sich um traditionelle Yanomami-Gemeinschaften, so dass ein Kulturschock unvermeidlich ist, da ihre Gewohnheiten, Bräuche und Lebensweisen völlig anders sind als die von uns Nicht-Indigenen. Drittens stellen sich praktische Herausforderungen, wie das Fehlen von Strom rund um die Uhr, kein Telefonsignal, wenig Auswahl und Vielfalt an Lebensmitteln, Baden und Wäsche waschen im Fluss, Leben mit Insekten und anderen Tieren des Waldes… Ein echter anthropologischer und spiritueller „Tauchgang“. Wir feierten in allen Gemeinden die Eucharistie und in einigen von ihnen mehrere Taufen, wir besuchten die Familien und beteten mit den Kindern. Es war eine fantastische Erfahrung der Begegnung, besondere Tage, Tage der Dankbarkeit, Tage der Rückbesinnung auf das Wesentliche unseres Glaubens und unserer salesianischen Jugendspiritualität: die Liebe zu Jesus, Frucht unserer persönlichen Begegnung mit ihm, und die Liebe zu unserem Nächsten, die sich in dem Wunsch äußert, bei ihm zu sein und sein Freund zu werden.

Diese bemerkenswerte „Wanderschaft“ hat in Ihrem Leben zweifelsohne viel zu lernen hinterlassen, nicht wahr?
Das Unterwegssein ist eine echte „Schule“ und lehrt uns das Leben: Losgelöstheit, denn je mehr „Dinge“ wir anhäufen, desto „schwerer“ wird die Reise; die Gegenwart leben, denn mitten in Amazonien, ohne Zugang zu Informationsmitteln, ist der einzige Kontakt die gegenwärtige Realität, das, was uns umgibt, der Wald, der Fluss, der Himmel, das Boot; Unentgeltlichkeit, denn wir stellen uns den Schwierigkeiten und der Müdigkeit, ohne Gesten menschlicher Dankbarkeit zu erwarten. Schließlich führt uns die geografische Wanderschaft zu einer „inneren Wanderschaft“, zur Umkehr, zur Rückbesinnung auf das Wesentliche im Leben und im Glauben. Auf den Flüssen Amazoniens zu segeln bedeutet, zu Flüssen im Landesinneren zu fahren.  In den Missionen zu sein, bedeutet, ständig dazu aufgefordert zu werden, sich von vorgefassten und starren Vorstellungen zu befreien, um freier zu sein, den anderen zu lieben und aufzunehmen und ihm die Freude des Evangeliums zu verkünden.
Eine ganz besondere Lektion, die ich jeden Tag in den Missionen lerne, ist, dass ich, um ein guter Missionar zu sein, jemand sein muss, der von der barmherzigen Liebe Gottes zutiefst geprägt und berührt ist, und nur aus dieser Erfahrung heraus kann ich bereit sein, überall „mitzunehmen“ und zu „zeigen“, wie Gott uns liebt und unser ganzes Leben verwandeln kann. Ich lerne auch, dass ich als Missionar diese Liebe aufnehme und zeige, vor allem mit meinem eigenen Leben, das ich der Mission gebe. Ohne ein Wort zu sagen, durch die einfache Tatsache, dass ich meine Herkunft verlasse und mich auf neue Kulturen einlasse, kann ich zeigen, dass die Liebe Gottes viel mehr wert ist als all die Dinge, die wir in unserem Leben für wertvoll halten. Deshalb ist das Leben des Missionars sein erstes und größtes Zeugnis und seine Verkündigung!

Sie haben diese missionarische Erfahrung gemacht, aber kann man sagen, dass auch Sie evangelisiert worden sind? Was hat Ihnen Zufriedenheit im Herzen gegeben?
In São Gabriel, der authentischsten der indigenen Gemeinden Brasiliens, in der 23 ethnische Gruppen leben und die multikulturell und mehrsprachig ist, wird mir jeden Tag bewusst, dass Gott uns nicht nur zu Missionaren beruft, sondern auch dazu, dass wir uns von der Schönheit und dem Geheimnis jedes Menschen und jeder Kultur unserer Welt verzaubern lassen. Nach dem Beispiel des Meisters Jesus, des Missionars des Vaters, sind wir daher aufgerufen, uns von allem zu „entleeren“, um uns mit den Schönheiten und Wundern zu „füllen“, die es in jedem Winkel der Erde gibt, und sie mit der Kostbarkeit des Evangeliums zu verbinden. Dies war eine der tiefgreifendsten Erfahrungen für mich.
Schließlich glaube ich, dass das Lächeln und die Schreie unserer Jungen und Mädchen, die spielen, rennen, hüpfen, einen Ball werfen und ihre Witze erzählen, Zufriedenheit hervorrufen; dass die neugierigen und strahlenden Blicke der Männer und Frauen des Waldes Freude hervorrufen; dass die Schönheit der Natur, die Großzügigkeit der Menschen und die Beharrlichkeit der Christen, die manchmal monatelang ohne die Anwesenheit eines Priesters ausharren, mit Liebe und Hingabe die kleinen Füße des Marienbildchens oder das Kreuz auf dem Altar betrachten und berühren. In den salesianischen Missionen von Rio Negro lernt man, ohne Exzesse zu leben, die Einfachheit zu schätzen und sich an den kleinen Dingen des Lebens zu erfreuen. Hier wird alles zu einem Fest, Tanz, Musik, Feier, Glaube? Hier lebt man in der gleichen Armut und Einfachheit wie am Anfang von Valdocco, wo Don Bosco, Mamma Margherita, das Kind Savio, Pater Rua und so viele andere lebten und geheiligt wurden. Der Aufenthalt in Amazonien bereichert uns als Menschen, Christen und Salesianer Don Boscos!

Gabriel ROMERO an den jungen Salesianer Leonardo Tadeu DA SILVA OLIVEIRA aus der Provinz São João Bosco in Belo Horizonte, Minas Gerais, Brasilien.

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Von Editor BSOL

Redakteur der Website.