Jahresleitgedanken 2025. In Hoffnung verankert, Pilger mit jungen Menschen

In der hoffnung verankert, sind wir pilgernde mit den jungen menschen

EINFÜHRUNG. IN DER HOFFNUNG VERANKERT, SIND WIR PILGERNDE MIT DEN JUNGEN MENSCHEN
1. AUF DEM WEG ZU CHRISTUS, UNSERER HOFFNUNG, UM DEN TRAUM DON BOSCOS ZU ERNEUERN
1.1 Das Heilige Jahr
1.2 Der Jahrestag der ersten salesianischen Missionsaussendung
2. HEILIGES JAHR: CHRISTUS, UNSERE HOFFNUNG
2.1 Als Pilgernde in der Hoffnung verankert
2.2 Die Hoffnung als Weg zu Christus, als Weg zum ewigen Leben
2.3 EIGENSCHAFTEN DER HOFFNUNG
2.3.1 Hoffnung, eine beständige, bereite, visionäre und prophetische Spannung
2.3.2 Hoffnung ist eine Wette auf die Zukunft
2.3.3 Hoffnung ist keine Privatsache
3. DIE HOFFNUNG ALS GRUNDLAGE DER SENDUNG
3.1 Hoffnung ist eine Einladung zur Mitverantwortung
3.2 Hoffnung fordert von der christlichen Gemeinschaft Mut bei der Evangelisierung
3.3 „DA MIHI ANIMAS“: DER „GEIST“ DER SENDUNG
3.3.1 Haltungen des Gesendeten
3.3.2 Danken, reflektieren und erneuern
4. HEILIGES JAHR UND MISSION: EINE HOFFNUNG, DIE SICH IM KONKRETEN TÄGLICHEN LEBEN NIEDERSCHLÄGT
4.1 Die Hoffnung als Kraft im täglichen Leben, die Zeugnis fordert
4.2 Hoffnung ist die Kunst der Geduld
5. DER URSPRUNG UNSERER HOFFNUNG: IN GOTT MIT DON BOSCO
5.1 Gott als Ursprung unserer Hoffnung
5.1.1 Ein rascher Blick auf den Traum
5.1.2 Don Bosco, ein „Gigant“ der Hoffnung
5.1.3 Eigenschaften der Hoffnung bei Don Bosco
5.1.4 Die „Früchte“ der Hoffnung bei Don Bosco
5.2 Die Treue zu Gott: bis zum Ende
6. MIT … MARIA – HOFFNUNG UND MÜTTERLICHE GEGENWART

EINFÜHRUNG. IN DER HOFFNUNG VERANKERT, SIND WIR PILGERNDE MIT DEN JUNGEN MENSCHEN
Liebe Schwestern und Brüder der verschiedenen Gruppen der salesianischen Familie Don Boscos, zu Beginn des neuen Jahres 2025 grüße ich Euch herzlich!

Ich wende mich nicht ohne Emotionen an Euch alle in dieser Zeit der Gnade, die durch zwei wichtige Ereignisse für das Leben der Kirche und unserer Familie geprägt ist: das Heilige Jahr 2025, das am 24. Dezember 2024 feierlich mit der Öffnung der Heiligen Pforte des Petersdoms im Vatikan begonnen hat, und der 150. Jahrestag der ersten Missionsaussendung durch Don Bosco am 11. November 1875 nach Argentinien und in andere Länder des amerikanischen Kontinents.

Das sind zwei wichtige Ereignisse, die sich in der Hoffnung begegnen. Tatsächlich sprach Papst Franziskus gerade von dieser Tugend als Perspektive, als er das Heilige Jahr ankündigte; ebenso verkündet die missionarische Erfahrung Hoffnung für alle: für die, die aufgebrochen sind (und noch aufbrechen), und für diejenigen, zu denen die Missionare gekommen sind.

Das Jahr, das uns geschenkt wurde, ist daher reich an Ideen für unser konkretes und tägliches Wachstum, damit unsere Menschlichkeit in der Fürsorge für andere fruchtbar werden kann … Das wird nur in den Herzen geschehen, die Gott so sehr in den Mittelpunkt stellen, dass sie sagen können: „Vor mich habe ich dich gestellt“.

In meinem Kommentar werde ich versuchen, diese Elemente hervorzuheben, um aus dem Blickwinkel des Charismas zu vertiefen, was die Kirche in diesem Jahr zu leben eingeladen ist, und um zu betonen, was uns als Familie Don Boscos zu neuen Horizonten führen muss.

1. AUF DEM WEG ZU CHRISTUS, UNSERER HOFFNUNG, UM DEN TRAUM DON BOSCOS ZU ERNEUERN
Der Titel des Jahresleitgedankens verbindet zwei Ereignisse: das ordentliche Heilige Jahr 2025 und den 150. Jahrestag der ersten Missionsaussendung durch Don Bosco nach Argentinien.

Das Zusammentreffen dieser beiden Ereignisse, das ich als „Geschenk der Vorsehung“ bezeichnen möchte, macht das Jahr 2025 wirklich zu einem außergewöhnlichen Jahr für uns alle. Noch mehr ist es das für die Salesianer Don Boscos, denn in den Monaten Februar, März und April wird das 29. Generalkapitel stattfinden, bei dem unter anderem der neue Generalobere und der neue Generalrat gewählt werden.

Es gibt also weltweite und einzelne Ereignisse, die uns auf unterschiedliche Weise betreffen und die wir mit der nötigen Tiefe und Intensität leben wollen. Denn gerade durch diese Ereignisse können wir die Freude erfahren, auf Christus zuzugehen, und wie wichtig es ist, in der Hoffnung verankert zu bleiben.

1.1 Das Heilige Jahr
Spes non confundit! Hoffnung lässt nicht zugrunde gehen!”[1]
So stellt Papst Franziskus das Heilige Jahr vor. Was für ein Wunder! Was für eine „prophetische“ Aussage!
Das Heilige Jahr ist eine Pilgerreise, um Jesus Christus wieder in den Mittelpunkt unseres Lebens und des Lebens der Welt zu stellen. Denn er ist unsere Hoffnung. Er ist die Hoffnung der Kirche und der gesamten Welt!

Wir sind uns alle bewusst, dass die Welt heute diese Hoffnung braucht, die uns in Verbindung mit Jesus Christus und den anderen Brüdern und Schwestern bringt. Wir brauchen diese Hoffnung, die uns zu Pilgernden macht, die uns in Bewegung setzt und zum Laufen bringt.

Wir sprechen deshalb von der Hoffnung als Wiederentdeckung der Gegenwart Gottes. Papst Franziskus schreibt: „Möge die Hoffnung die Herzen erfüllen!“[2], die Herzen nicht nur erwärmen, sondern sie füllen, sie bis zum Überfließen füllen!

1.2 Der Jahrestag der ersten salesianischen Missionsaussendung
Von dieser überfließenden Hoffnung waren die Herzen der Teilnehmer an der ersten salesianischen Missionsaussendung nach Argentinien vor 150 Jahren erfüllt.

Don Bosco hat von Valdocco aus sein Herz über alle Grenzen hinaus ausgeweitet und seine Söhne auf die andere Seite der Welt geschickt! Er schickt sie jenseits aller menschlichen Sicherheit, er sendet sie, dass sie fortführen, was er begonnen hatte. Er macht sich mit anderen auf den Weg, hofft und flößt Hoffnung ein. Er schickt sie einfach aus und die ersten (jungen) Mitbrüder brechen auf und gehen. Wohin? Nicht einmal sie wissen es! Aber sie vertrauen der Hoffnung, sie gehorchen. Denn es ist Gottes Gegenwart, die uns leitet.

In diesem begeisterten Gehorsam findet auch unsere aktuelle Hoffnung neue Kraft und treibt uns an, als Pilgernde aufzubrechen.

Deshalb sollte dieser Jahrestag gefeiert werden: Er hilft uns, ein Geschenk zu erkennen (keine persönliche Leistung, sondern ein kostenloses Geschenk des Herrn), er erlaubt uns, uns zu erinnern und aus dieser Erinnerung Kraft zu schöpfen, um die Zukunft anzugehen und zu gestalten.

Wir leben also, um diese Zukunft heute möglich zu machen, und zwar auf die einzige Art und Weise, die uns groß scheint: indem wir mit jungen Menschen und allen Menschen in unserer Umgebung (angefangen bei den Ärmsten und Vergessenen) den Weg auf Christus zu, unserer einzigen Hoffnung, teilen.

2. HEILIGES JAHR: CHRISTUS, UNSERE HOFFNUNG
Das Heilige Jahr bedeutet gemeinsam unterwegs zu sein, verankert in Christus, unserer Hoffnung. Aber was bedeutet das eigentlich?
Ich möchte einige Elemente der Verkündigungsbulle des Jubiläums 2025 aufgreifen, die gewisse Merkmale der Hoffnung hervorheben.

2.1 Als Pilgernde in der Hoffnung verankert[3]
Wir sind überzeugt, dass nichts und niemand uns von Christus trennen kann.[4] Denn er ist es, an dem wir uns festhalten und in dem wir verankert sein wollen und müssen. Wir können nicht ohne unseren Anker unterwegs sein.

«Denn der Anker der Hoffnung ist Christus selbst», der das Leid und die Verletzungen der Menschheit am Kreuz «vor den Vater trägt.
Der Anker hat die Form des Kreuzes, weshalb er auch in den Katakomben dargestellt wurde, um zu versinnbildlichen, dass die verstorbenen Gläubigen zu Christus, dem Erlöser gehören.

Dieser Anker ist bereits stabil im Hafen [unseres] Heils festgemacht. Unsere Aufgabe» ist es, unser Leben in ihm anzubinden, an dem Seil, «das unser Schiff an den Anker, der Christus ist, bindet.»

«Wir segeln auf den stürmischen Wellen des Meeres und müssen uns an etwas Festes anbinden. Es geht nicht mehr darum, den Anker auszuwerfen und im Meeresgrund zu befestigen. Die Aufgabe besteht jetzt darin, unser Schiff an dem Seil zu befestigen, das gleichsam vom Himmel herabhängt, wo der Anker Christi fest verankert ist. Indem wir uns an diesem Seil festmachen, sichern wir uns am Anker des Heils und machen unsere Hoffnung beständig.»

Die «Hoffnung ist sicher, wenn das […] Boot unseres Lebens sich an jenem Seil festhält, das uns an den Anker bindet, der […] in Christus, dem Gekreuzigten, befestigt ist, der zu Rechten des Vaters steht, das heißt, in der ewigen Gemeinschaft […] des Vaters, in der Liebe des Heiligen Geistes».[5]

«All das kommt im liturgischen Gebet zum Hochfest der Himmelfahrt Christi gut zum Ausdruck:

„Es jubelt in heiliger Freude deine Kirche, Vater, über das Geheimnis, das sie in dieser Liturgie feiert, denn in deinem in den Himmel aufgefahrenen Sohn ist unsere Menschheit zu dir erhoben, und wir, Glieder seines Leibes, leben in der Hoffnung, mit Christus, unserem Haupt, einst in der Herrlichkeit vereint zu sein.“[6]»

Der tschechische Schriftsteller und Politiker Vaclav Havel beschreibt Hoffnung folgendermaßen: „[Ich begreife] die Hoffnung […] als einen Zustand des Geistes […]. Hoffnung [ist] eine Dimension unserer Seele und […] in ihrem Wesen nicht abhängig von irgendwelchem Beobachten der Welt oder Abschätzen von Situationen. Hoffnung ist keine Prognostik. Sie ist Orientierung des Geistes, Orientierung des Herzens, die die unmittelbar gelebte Welt übersteigt und irgendwo in der Ferne verankert ist. […]
Ihre tiefen Wurzeln spüre ich also irgendwo im Transzendenten […]. Das Maß der Hoffnung in diesem tiefen und starken Sinn ist nicht das Maß unserer Freude am guten Lauf der Dinge“.[7] Wir könnten denken, dass Hoffnung einfach bedeutet, das Leben anzulächeln, damit es uns zurücklächelt, aber nein, wir müssen tiefer gehen, wir müssen das Seil entlanggehen, das uns zum Anker führt.

Hoffnung ist „das Maß unserer Fähigkeit, uns um etwas zu bemühen, weil es gut ist, und nicht nur, weil es garantiert Erfolg hat.“[8] Es könnte scheitern, es könnte schiefgehen: Wir hoffen nicht, dass es gut geht, wir sind nicht optimistisch. Wir arbeiten daran, dass es gelingt. „Hoffnung ist eben nicht Optimismus. Es ist nicht die Überzeugung, daß etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, daß etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht.“[9]
Etwas tun, weil es Sinn hat: Darin besteht die Hoffnung, die Werte und Glauben voraussetzt.
„Und diese Hoffnung vor allen Dingen ist es auch, die uns die Kraft gibt, zu leben und es immer aufs Neue zu versuchen, seien die Bedingungen äußerlich auch so hoffnungslos“.[10]
Aber wie können wir unterwegs sein und verankert bleiben? Der Anker beschwert dich, hält dich fest, fixiert dich an Ort und Stelle. Wohin bringt uns dieser Weg? Er bringt uns zur Ewigkeit.

2.2 Die Hoffnung als Weg zu Christus, als Weg zum ewigen Leben[11]
«Diese Verheißung auf das ewige Leben überspringt gerade wegen der Art und Weise, wie sie [jedem] von uns gegeben ist, nicht unseren Lebensweg. Sie ist kein Sprung nach oben, sie bietet uns nicht an, in eine Rakete zu steigen, die sich von der Erde löst, durch den Weltraum fliegt und den Weg und den Staub des Weges unten zurücklässt oder das Schiff ohne uns mitten auf dem Meer treiben lässt.
Diese Verheißung ist eben ein Anker, der sich in der Ewigkeit festmacht, an dem wir aber mit einem Seil befestigt bleiben, welches das Schiff absichert, das auf dem Meer vorwärtssteuert. Und gerade weil dieser Anker im Himmel verankert ist, bleibt das Schiff nicht in der Mitte des Meeres stehen, sondern kann sich durch die Wellen vorwärtsbewegen.

Wenn der Anker Christi [den Menschen] auf dem Meeresgrund festmachen würde, blieben wir [alle] dort stecken, wo wir sind, und das wäre wohl bequem, ohne Probleme, aber wir würden festsitzen, nicht mehr weitergehen. Vielmehr bedeutet die Verankerung des Lebens im Himmel, dass die Verheißung, die unsere Hoffnung wachhält, unsere Reise nicht aufhält, uns nicht Sicherheit gibt in einem Zufluchtsort, wo wir anhalten und uns einschließen können, sondern Sicherheit im Gehen, Sicherheit unterwegs. Die Verheißung eines bestimmten Ziels, das Christus bereits für uns erreicht hat, macht jeden Schritt auf dem Lebensweg fest und entschlossen.»

Es ist wichtig, das Heilige Jahr als Pilgerreise zu verstehen, als Einladung, sich auf den Weg zu machen, aus sich selbst herauszugehen, um auf Christus zuzugehen.

Heiliges Jahr ist immer schon ein Synonym für Weg gewesen. Wenn du dich wirklich nach Gott sehnst, musst du dich bewegen, musst du gehen. Denn das Verlangen nach Gott, die Sehnsucht nach Gott bewegt dich, um Ihn zu finden, und führt dich gleichzeitig dahin, dich selbst und andere zu finden.

„Geboren, um nie mehr zu sterben“.[12]
Dieser Titel der Biographie der Dienerin Gottes Chiara Corbella Petrillo ist schön und bedeutsam. Ja, denn unser Auf-die-Welt-Kommen ist auf das ewige Leben ausgerichtet. Das ewige Leben ist eine Verheißung, die die Tür des Todes durchbricht und uns für immer dafür öffnet, „von Angesicht zu Angesicht mit Gott“ zu sein. Der Tod ist eine sich schließende Tür und gleichzeitig ein Tor, das für die endgültige Begegnung mit Gott weit aufgeht!

Wir wissen, wie lebendig bei Don Bosco die Sehnsucht nach dem Himmel war, die er den Jungen im Oratorium anbot und freudig mit ihnen teilte.

2.3 EIGENSCHAFTEN DER HOFFNUNG

2.3.1 Hoffnung, eine beständige, bereite, visionäre und prophetische Spannung
Gabriel Marcel[13], der so genannte Philosoph der Hoffnung, lehrt uns, dass Hoffnung sich im Gewebe einer im Werden begriffenen Erfahrung findet, „hoffen heißt, der Realität Kredit einräumen, ihr Glauben schenken, sodass sie zukunftsträchtig wird“.[14]

Erich Fromm[15] schreibt, dass Hoffnung kein untätiges Warten sei, sondern eine andauernde Spannung. Sie gleiche einem kauernden Tiger, der erst losspringt, wenn der Augenblick zum Springen gekommen ist.
Hoffen heißt, jeden Augenblick wachsam zu sein für etwas, was noch nicht passiert ist. Die Jungfrauen, die den Bräutigam mit angezündeten Laternen erwarteten, hofften, Don Bosco hoffte angesichts der Schwierigkeiten und kniete sich nieder, um zu beten.
Die Hoffnung ist in dem Augenblick bereit, in dem etwas auf dem Welt kommt.
Sie ist wachsam, aufmerksam und lauschend, sie ist in der Lage dabei zu helfen, etwas Neues zu schaffen und die Zukunft auf der Erde zum Leben zu erwecken.
Deshalb ist sie „visionär und prophetisch“. Sie lenkt unsere Aufmerksamkeit auf das, was noch nicht ist, sie ist diejenige, die hilft, etwas Neues zu gebären.

2.3.2 Hoffnung ist eine Wette auf die Zukunft
Ohne Hoffnung gibt es keine Umwandlung, keine Zukunft, es gibt nur eine Gegenwart, die aus einem unschöpferischen Optimismus besteht.
Oft denkt man, dass jemand, der hofft, ein Optimist ist, während ein Pessimist im Wesentlichen sein Gegenteil ist. So ist es nicht. Es ist wichtig, Hoffnung nicht mit Optimismus zu verwechseln. Hoffnung geht sehr viel tiefer, weil sie nicht von Launen, Gefühlen und Empfindsamkeiten abhängt. Das Wesen des Optimismus ist die angeborene Positivität. Der Optimist lebt in der Überzeugung, dass die Dinge irgendwie besser werden. Für einen Optimisten ist die Zeit geschlossen, er betrachtet nicht die Zukunft: Alles wird gut und das reicht.
Paradoxerweise ist die Zeit auch für einen Pessimisten geschlossen: Er findet sich in der Gegenwart wie in einem Gefängnis gefangen, verneint alles, ohne sich in andere mögliche Welten zu wagen. Der Pessimist ist genauso dickköpfig wie der Optimist, beide sind möglichkeitsblind, denn das Mögliche ist ihnen fremd, ihnen fehlt die Leidenschaft für das Mögliche.

Im Unterschied zu diesen beiden geht die Hoffnung eine Wette auf das ein, was weiter geht als das Bisherige, auf das, was sein könnte.

Noch einmal: Der Optimist (wie auch der Pessimist) handelt nicht, denn jede Handlung birgt ein Risiko. Weil er dieses Risiko nicht eingehen will, ist er unbeweglich, er will keinen Misserfolg erleben.
Die Hoffnung hingegen geht auf die Suche, sie versucht eine Richtung zu halten, bewegt sich auf das zu, was sie nicht kennt, nimmt Kurs auf neue Dinge. Das ist die Pilgerreise eines Christen.

2.3.3 Hoffnung ist keine Privatsache
Wir alle tragen Hoffnung in unserem Herzen. Es ist unmöglich, nicht zu hoffen. Es ist aber auch wahr, dass wir uns falsche Hoffnungen machen, wenn wir Perspektiven und Ideale in Betracht ziehen, die sich niemals verwirklichen werden, die nur Chimären und Verlockungen sind.
Ein großer Teil unserer Kultur, vor allem der westlichen, ist voller falscher Hoffnungen, die täuschen und zerstören oder die Existenz Einzelner und ganzer Gesellschaften irreparabel zugrunde richten können.
Laut dem positiven Denken genügt es, die negativen Gedanken durch andere, positive zu ersetzen, um glücklicher zu leben. Durch diesen simplen Mechanismus werden die negativen Aspekte des Lebens vollständig ausgeblendet. Die Welt erscheint wie der Marktplatz von Amazon, der uns alles, was wir haben wollen, dank unserer positiven Haltung liefern wird.

Daraus folgt: Wenn unser Wille, positiv zu denken, ausreicht, um glücklich zu sein, dann wäre jeder und jede alleine fürs eigene Glück verantwortlich.
Paradoxerweise vereinzelt dieser Kult der Positivität die Menschen, macht sie egoistisch, baut Empathie ab, weil die Menschen immer mehr mit sich selbst beschäftigt sind und sich nicht für das Leid Anderer interessieren.
Im Gegensatz zum positiven Denken wendet sich die Hoffnung nicht von den Negativitäten des Lebens ab, sie vereinzelt nicht, sondern verbindet und versöhnt, weil das Subjekt der Hoffnung nicht ich allein bin, auf mein Ego fokussiert, verschanzt in mir selbst; das Geheimnis der Hoffnung ist vielmehr ein Wir.
Deswegen sind die Schwestern der Hoffnung die Liebe, der Glaube und die Transzendenz.

3. DIE HOFFNUNG ALS GRUNDLAGE DER SENDUNG

3.1 Hoffnung ist eine Einladung zur Mitverantwortung
Hoffnung ist ein Geschenk und als solches muss sie an jeden und jede weitergegeben werden, dem oder der wir auf unserem Weg begegnen.

Der heilige Petrus drückt es klar aus: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt“.[16] Er fordert uns auf, keine Angst davor zu haben, im Alltag Rechenschaft über die Hoffnung zu geben. Das ist eine Verantwortung für uns Christen und Christinnen. Wenn wir Frauen und Männer der Hoffnung sind, dann zeigt sich das!
„Rede und Antwort zu stehen über die Hoffnung, die uns erfüllt“, wird zur Verkündigung der „Guten Botschaft“ Jesu und seines Evangeliums.

Aber warum ist eine Antwort notwendig, wenn wir nach der Hoffnung, die uns erfüllt, gefragt werden? Und warum fühlen wir das Bedürfnis, Hoffnung zu finden?

In der Verkündigungsbulle des ordentlichen Heiligen Jahres erinnert uns Papst Franziskus daran, dass „alle die Freude am Leben zurückgewinnen [müssen], denn der Mensch, der nach dem Bild Gottes und ihm ähnlich geschaffen ist, kann sich nicht damit begnügen, nur zu überleben oder sich irgendwie durchzuschlagen, sich an die Gegenwart anzupassen und sich allein mit materiellen Gütern zufriedenzugeben. Das schließt den Menschen ein im Individualismus und zersetzt die Hoffnung, es erzeugt eine Traurigkeit, die sich im Herzen einnistet und den Menschen verbittert und unduldsam werden lässt“.[17]

Eine Beobachtung, die uns trifft, weil sie die ganze Traurigkeit beschreibt, die man in unseren Gesellschaften und unseren Gemeinschaften einatmet. Es ist eine Traurigkeit, die sich hinter falscher Freude versteckt, jener Freude, die uns von den Medien, der Werbung, der Propaganda der Politiker und von so vielen falschen Propheten des Wohlbefindens ständig verkündet, versprochen und versichert wird. Wenn wir uns mit dem Wohlbefinden zufriedengeben, hindert uns das daran, uns für ein viel größeres, viel wahreres und ewiges Gut zu öffnen: jenes Gut, das Jesus und die Apostel „Seelenheil, Heil des Lebens“ nennen. Ein Gut, für das Jesus uns auffordert, uns nicht davor zu fürchten, das Leben, materielle Güter, falsche Sicherheiten, die oft in einem Augenblick zusammenbrechen, zu verlieren.

Wir haben die Aufgabe, über diese „Fragen“, die mehr oder weniger deutlich gestellt werden (auch von jungen Menschen), „Rechenschaft abzulegen“. Was wünsche ich mir für die jungen Menschen und für alle Menschen, denen ich auf meinem Weg begegne? Um was möchte ich Gott für sie bitten? Wie möchte ich, dass sich ihr Leben ändert?

Es gibt nur eine Antwort: das ewige Leben. Das ewige Leben nicht nur als ein erhabener Zustand, den wir nach dem Tod erreichen können, sondern das ewige Leben, das jetzt und hier möglich ist, das ewige Leben, wie es Jesus beschreibt: „Das aber ist das ewige Leben: dass sie dich, den einzigen wahren Gott, erkennen und den du gesandt hast, Jesus Christus“[18] – das heißt ein Leben, das durch die Gemeinschaft mit Christus und, durch Ihn, mit dem Vater erhellt ist.

Uns fällt die Aufgabe zu, die jüngeren Generationen auf diesem Weg zum ewigen Leben durch unser charakteristisches erzieherisches Handeln zu begleiten. Ein Handeln, das für uns, die Don-Bosco-Familie, eine Sendung ist. Was treibt unsere Sendung an? Es ist immer Christus, unsere Hoffnung.
Die erzieherische Sendung hat nämlich die Hoffnung als Mittelpunkt.
Letzten Endes ist die Hoffnung Gottes niemals Hoffnung nur für sich. Sie ist immer Hoffnung für die anderen: Sie vereinzelt uns nicht, sie macht uns solidarisch und sie spornt uns an, uns gegenseitig zur Wahrheit und Liebe zu erziehen.

3.2 Hoffnung fordert von der christlichen Gemeinschaft Mut bei der Evangelisierung
Mut und Hoffnung sind eine interessante Kombination. Wenn es nämlich wahr ist, dass es unmöglich ist, nicht zu hoffen, so ist es andererseits auch wahr, dass es Mut braucht, um zu hoffen. Der Mut entsteht, wenn wir denselben Blick wie Christus haben, fähig gegen alle Hoffnung zu hoffen[19], Lösungen dort zu sehen, wo es scheinbar keine Auswege zu geben scheint. Wie „salesianisch“ ist doch diese Einstellung!

All dies erfordert den Mut, man selbst zu sein, die eigene Identität als Gabe Gottes zu erkennen und seine Kräfte in eine genau bestimmte Verantwortung zu investieren. Das soll geschehen in dem Bewusstsein, dass das, was uns anvertraut wurde, nicht uns gehört, und dass wir die Aufgabe haben, es an die nächsten Generationen weiterzugeben. Das ist Gottes Herz, das ist das Leben der Kirche.

Eine Haltung, die wir bei der ersten Missionsaussendung wiederfinden.

Ich finde den Bezug auf Artikel 34 der Konstitutionen der Salesianer Don Boscos hier sehr nützlich, der hervorhebt, was unsere charismatische und apostolische Bewegung im Innersten ausmacht. Ich schlage vor, dass jede Gruppe unserer wundervoll vielfältigen Familie die hier angebotenen Elemente aufgreift und ihre jeweiligen Konstitutionen und Statuten neu liest.

Der Artikel mit dem Titel „Evangelisierung und Katechese“ lautet folgendermaßen:

„Die Salesianische Gesellschaft hatte ihren Ursprung in einem einfachen Katechismusunterricht‘. Auch für uns sind Evangelisierung und Katechese die grundlegende Dimension unserer Sendung.
Wie Don Bosco sind wir alle berufen, bei jeder Gelegenheit Erzieher zum Glauben zu sein. Unser höchstes Wissen ist es deshalb, Jesus Christus zu kennen, und unsere tiefste Freude besteht darin, allen die unergründlichen Reichtümer seines Geheimnisses zu erschließen.
Wir sind zusammen mit den Jugendlichen unterwegs, um sie zum auferstandenen Herrn zu führen. Indem sie in Ihm und seinem Evangelium den tiefsten Sinn ihres Daseins entdecken, sollen sie zu neuen Menschen heranwachsen.
Die Jungfrau Maria ist auf diesem Weg eine mütterliche Begleiterin. Wir bemühen uns darum, daß sie gekannt und geliebt wird als jene, die geglaubt hat, die hilft und Hoffnung schenkt.“

Dieser Artikel stellt das schlagende Herz dar, das – auch für diesen Jahresleitgedanken – gut umreißt, welche Energien und Möglichkeiten es gibt, um den „weltweiten Traum“, den Gott in Don Bosco erweckt hat, zu erfüllen und zu aktualisieren.

Wenn das Heilige Jahr zu leben vor allem bedeutet, dafür zu sorgen, dass Jesus an erster Stelle steht und diesen Platz wieder einnimmt, ist der missionarische Geist die Konsequenz dieses neu erkannten Vorrangs, der unsere Hoffnung stärkt und sich in jener erzieherischen und pastoralen Nächstenliebe zeigt, die allen die Person Jesu Christi verkündet. Das ist das Herz der Evangelisierung und charakterisiert die authentische Sendung.

Es ist wichtig, an den Anfang der ersten Enzyklika von Papst Benedikt XVI., Deus caritas est, zu erinnern:

„Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluß oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt“.[20]

Daher ist die Begegnung mit Christus vorrangig und grundlegend, nicht die „bloße“ Verbreitung einer Lehre, sondern eine tiefe, persönliche Gotteserfahrung, die dazu drängt, Ihn mitzuteilen, Ihn bekannt zu machen und zu erfahren, indem man zu echten „Mystagogen“ im Leben der jungen Menschen wird.

3.3 „DA MIHI ANIMAS“: DER „GEIST“ DER SENDUNG
Don Bosco betonte immer einen Satz, den die jungen Menschen lesen konnten, wenn sie an seinem Zimmer vorbeikamen, ein Ausdruck, der vor allem Dominikus Savio erschütterte: „Da mihi animas, cetera tolle”.

Es gibt ein grundlegendes Gleichgewicht, das in diesem Motto die beiden Prioritäten vereint, die Don Boscos Leben leiteten – und das wir bezeichnenderweise „Gnade der Einheit“ nennen – und die es uns ermöglichen, stets die Innerlichkeit und das apostolische Handeln zu bewahren.

Wenn im Herzen die Gottesliebe fehlt, wie soll es dann echte pastorale Nächstenliebe geben? Und wenn der Apostel nicht das Antlitz Gottes in seinem Nächsten entdeckt, wie könnte man dann sagen, dass er Gott liebt?

Das Geheimnis Don Boscos besteht darin, dass er persönlich die eine „Liebe zu Gott und den Brüdern“[21] gelebt hat, die den salesianischen Geist charakterisiert.

3.3.1 Haltungen des Gesendeten
Es gibt im Leben Don Boscos zwei Schlüsselträume, in denen die Haltungen des Apostels, desjenigen der gesendet ist, deutlich werden:
der „Traum mit neun Jahren“, in dem Jesus und Maria den kleinen Johannes bitten, sich durch Gehorsam und Wissen demütig, stark und kräftig zu machen, ihm für immer die Güte empfehlen, um die Herzen der Jungen zu gewinnen und Maria immer als seine Lehrmeisterin und Führerin zu behalten;
der „Traum von der Rosenlaube“, der auf die „Leidenschaft“ im salesianischen Leben hinweist, die es erfordert, die „guten Schuhe“ der Selbstverleugnung und der Nächstenliebe zu tragen.

3.3.2 Danken, reflektieren und erneuern
Die Feier des 150. Jahrestages der ersten Missionsaussendung durch Don Bosco stellt ein großes Geschenk dar, denn wir können
es anerkennen und Gott dafür danken.Die Dankbarkeit macht die Urheberschaft jeder guten Tat offenkundig. Ohne Dankbarkeit sind wir nicht fähig zu empfangen. Wann immer wir für ein Geschenk in unserem persönlichen und institutionellen Leben nicht danken, laufen wir ernsthaft Gefahr, es zunichtezumachen, indem wir uns seiner „bemächtigen“.
es wieder bedenken, denn „nichts ist für immer“.Die Treue beinhaltet die Fähigkeit, sich im Gehorsam gegenüber einer Vision zu ändern, die von Gott und aus dem Achten auf die „Zeichen der Zeit“ kommt. Nichts ist für immer: Aus persönlicher und institutioneller Sicht besteht echte Treue in der Fähigkeit, sich zu ändern und zu erkennen, wozu der Herr einen jeden von uns beruft.
Das erneute Bedenken wird so zu einem schöpferischen Akt, in dem sich Glaube und Leben vereinen; ein Augenblick, um sich zu fragen: Was will uns der Herr mit dieser Person, mit dieser Situation im Licht der Zeichen der Zeit sagen, die, um gedeutet zu werden, verlangen, das Herz Gottes zu haben?
es erneuern, jeden Tag neu beginnen.Die Dankbarkeit führt dazu, weit nach vorne zu blicken und neue Herausforderungen anzunehmen, um die Sendung mit Hoffnung zu erneuern. Die Sendung besteht darin, die Hoffnung auf Christus klar und deutlich zu vermitteln, wobei die Rückbindung an den Glauben erkennen lässt, dass das, was ich sehe und erlebe, „nicht meine Privatsache ist“.

4. HEILIGES JAHR UND MISSION: EINE HOFFNUNG, DIE SICH IM KONKRETEN TÄGLICHEN LEBEN NIEDERSCHLÄGT

4.1 Die Hoffnung als Kraft im täglichen Leben, die Zeugnis fordert
Der heilige Thomas von Aquin schreibt: „Spes introducit ad caritatem“[22], die Hoffnung bereitet vor und stimmt unser Leben, unsere Menschlichkeit auf die Nächstenliebe ein. Eine Nächstenliebe, die auch Gerechtigkeit und soziales Handeln ist.

Die Hoffnung braucht das Zeugnis. Wir sind das Herzstück der Sendung, denn Sendung bedeutet nicht in erster Linie, etwas zu tun, sondern sie ist Zeugnis desjenigen, der eine Erfahrung gemacht hat und davon erzählt. Der Zeuge ist Träger der Erinnerung, er wirft Fragen auf bei dem, der ihm begegnet, und sorgt für Erstaunen.

Das Zeugnis der Hoffnung erfordert eine Gemeinschaft, es ist ein Gemeinschaftswerk, das ansteckend wirkt, so wie unsere Menschlichkeit andere ansteckt, denn das Zeugnis ist die Verbindung mit dem Herrn.

Die Hoffnung auf das Zeugnis der Sendung muss von Generation zu Generation aufgebaut werden, zwischen Erwachsenen und jungen Menschen: Das ist der Weg zur Zukunft. In unserer Kultur frisst das Konsumverhalten die Zukunft, die Ideologie des Konsums löscht alles im „hier und jetzt“, im „alles und sofort“ aus. Die Zukunft jedoch lässt sich nicht konsumieren, du kannst dir nicht das aneignen, was anders ist als du, du kannst dir den Anderen nicht aneignen.[23]

Beim Aufbau der Zukunft ist die Hoffnung die Fähigkeit, Versprechen zu geben und zu halten – etwas Großartiges und Seltenes in unserer Welt. Versprechen heißt hoffen, sich in Bewegung setzen, deshalb ist die Hoffnung – wie gesagt – Unterwegssein, sie ist die Kraft des Unterwegsseins.

4.2 Hoffnung ist die Kunst der Geduld
Jedes Leben, jede Gabe, alle Dinge brauchen Zeit, um zu wachsen. So benötigen auch die Gottesgaben Zeit, um zu reifen. Deshalb wird von uns heutzutage, wo alles sofort „konsumiert“ wird, unsere Zeit und unser Leben, besonders gefordert, der Tugend der Geduld Atem und Kraft zu geben: Denn in der Hoffnung verwirklicht sich die Geduld.[24] Hoffnung und Geduld sind nämlich eng miteinander verbunden.

Die Hoffnung enthält die Fähigkeit, warten zu können, auf das Wachstum zu warten, als ob man sagen wollte: „Eine Tugend führt zur anderen“!

Damit die Hoffnung Wirklichkeit wird, sich vollendet zeigt, braucht es Geduld. Nichts zeigt sich auf wunderbare Weise, weil alles dem Gesetz der Zeit unterworfen ist. Die Geduld ist die Kunst des Bauern, der sät und zu warten weiß, bis die gesäte Saat wächst und Früchte trägt.

«Die Hoffnung beginnt in uns als Erwartung und wird als bewusst gelebtes Warten in unserem Menschsein geübt. Das Warten ist eine sehr wichtige Dimension der menschlichen Erfahrung. Der Mensch versteht zu warten, der Mensch lebt immer in einer Dimension des Wartens, denn er ist das Geschöpf, das bewusst in der Zeit lebt.»

«Das menschliche Warten ist das wahre Maß der Zeit, ein Maß, das nicht numerisch, nicht chronologisch ist. Wir haben uns daran gewöhnt, das Warten zu berechnen; wir sagen, dass wir eine Stunde gewartet haben, dass der Zug fünf Minuten Verspätung hat, dass das Internet uns 14 unendliche Sekunden hat warten lassen, bevor es auf den Klick reagiert hat. Aber wenn wir das Warten auf diese Weise messen, berauben wir es seines Wesens, wir machen es zu einer Sache, zu einem Phänomen, das losgelöst ist von uns und dem, worauf wir warten. Es wird dann sozusagen zu einer Sache, die für sich selbst, in sich selbst existiert, ohne Beziehung. Warten jedoch ist das Gegenteil: Es ist Beziehung, und das ist der entscheidende Punkt, es ist eine Dimension des Geheimnisses der Beziehung.»

Nur wer Hoffnung hat, hat Geduld. Nur wer Hoffnung hat, ist in der Lage, alle Situationen, die das Leben mit sich bringt, zu „ertragen“, sie „von unten zu stützen“. Wer ausharrt, der wartet, der hofft und kann ertragen, gerade weil der Sinn seiner Mühe das Warten ist, die Spannung des Wartens, die liebende Kraft des Wartens.

Wir wissen, dass es manchmal Erfahrungen der Mühsal, der Arbeit, des Schmerzes und des Todes sind, die uns zu Geduld und Warten zurückrufen.[25] Mühsal, Schmerz und Tod entlarven die Illusion, Zeit zu besitzen, den Sinn der Zeit, den Wert der Zeit zu besitzen, den Sinn und den Wert unseres Lebens. Das ist natürlich eine negative, aber auch eine positive Erfahrung, denn Mühsal, Schmerz und Tod können Gelegenheiten sein, den wahren Sinn der Zeit unseres Lebens wiederzuentdecken.

Es geht noch einmal darum, „Rede und Antwort zu stehen über die Hoffnung, die uns erfüllt“, die „Gute Botschaft“ Jesu und seines Evangeliums zu verkünden.

5. DER URSPRUNG UNSERER HOFFNUNG: IN GOTT MIT DON BOSCO
Don Egidio Viganò hat der Kongregation und der Don-Bosco-Familie eine interessante Reflexion über das Thema Hoffnung geschenkt, wobei er auf unsere sehr reiche Tradition zurückgriff und einige spezifische Merkmale des salesianischen Geistes im Lichte dieser theologischen Tugend hervorhob. Insbesondere geschah dies durch seinen Kommentar zu Don Boscos Traum von den zehn Diamanten für die Teilnehmerinnen des Generalkapitels der Don-Bosco-Schwestern.[26]

Angesichts des tiefgründigen Inhalts finde ich es sinnvoll, an den Beitrag des siebten Nachfolgers Don Boscos zu erinnern, um uns daran zu erinnern, wozu wir alle berufen sind, und zwar einmal mehr aus der Perspektive der Hoffnung.

5.1 Gott als Ursprung unserer Hoffnung
5.1.1 Ein rascher Blick auf den Traum
Die Erzählung dieses außergewöhnlichen Traums, den Don Bosco in der Nacht vom 10. auf den 11. September 1881 in San Benigno Canavese hatte, ist allen bekannt. Ich fasse seinen Aufbau kurz zusammen.[27]

Der Traum entwickelt sich in drei Szenen. In der ersten verkörpert die Person das Profil des Salesianers: Auf der Vorderseite seines Mantels zeigt er fünf Diamanten, drei auf der Brust, die für „Glaube“, „Hoffnung“ und „Liebe“ stehen, sowie zwei, „Arbeit“ und „Mäßigkeit“, auf den Schultern; auf der Rückseite befinden sich weitere fünf Diamanten, die für „Gehorsam“, „Armutsgelübde“, „Lohn“, „Keuschheitsgelübde“ und „Fasten“ stehen.

Don Rinaldi nannte diese Person mit den zehn Diamanten: „Das Modell des echten Salesianers“.

In der zweiten Szene zeigt die Person eine Verfälschung des Modells: Ihr Mantel „war verblichen, von Motten zerfressen und zerrissen. An den Stellen, auf denen die Diamanten gesessen hatten, waren jetzt verdorbene Stellen, die von Motten und anderen Insekten zerfressen waren“.

Diese so traurige und deprimierende Szene zeigt „die Kehrseite des echten Salesianers“, den Antisalesianer.

In der dritten Szene erscheint „ein anmutiger Jüngling, angetan mit einem weißem, mit Gold- und Silberfäden verarbeiteten Gewand […], hoheitsvoll, aber auch liebreich und freundlich“. Er überbringt eine Botschaft. Er fordert die Salesianer auf, zu „hören“, zu „verstehen“, „eifrig und stark“ zu bleiben, mit Worten und dem Leben „Zeugnis zu geben“, „Obacht zu geben“ bei der Aufnahme und Ausbildung der neuen Generationen und ihre Kongregation gesund wachsen zu lassen.

Die drei Traumszenen sind lebhaft und provokativ; sie präsentieren uns eine beweglich, persönlich und dramatisch gehaltene Synthese der salesianischen Spiritualität. Der Inhalt des Traums bildet im Geist Don Boscos gewiss einen wichtigen Bezugspunkt für unsere Berufungsidentität.

Nun, die Person im Traum trägt bekanntlich den Diamanten der Hoffnung auf der Vorderseite. Dieser steht für die Gewissheit, dass man in einem ganz und gar schöpferischen, engagierten Leben, das Tag für Tag praktische Aktivitäten für das Heil vor allem der Jugend plant, Hilfe von oben erhält. Zusammen mit den anderen Symbolen der theologischen Tugenden entsteht das Bild einer Person, die weise und optimistisch ist, weil der Glaube sie beseelt, dynamisch und schöpferisch, weil die Hoffnung sie bewegt, immer betend und menschlich gut, weil die Liebe sie durchdringt.

Entsprechend zum Diamanten der Hoffnung finden wir auf der Rückseite der Person den Diamanten des „Lohns“. Wenn die Hoffnung den Schwung und das Tun des Salesianers beim Aufbau des Reich Gottes sichtbar hervorhebt, wenn die Beständigkeit seiner Bemühungen und die Begeisterung seines Engagements auf der Gewissheit der Hilfe Gottes beruhen, die durch die Vermittlung und Fürsprache Christi und Marias gegenwärtig wird, dann betont der Diamant des „Lohns“ eher eine beständige Gewissenshaltung, die das gesamte asketische Bemühen durchdringt und belebt, gemäß der bekannten Maxime Don Boscos: „Ein Stückchen Paradies macht alles gut!“[28]

5.1.2 Don Bosco, ein „Gigant“ der Hoffnung
Don Bosco sagte, dass der Salesianer bereit ist, „Hitze und Kälte, Hunger und Durst, Mühen und Verachtung zu ertragen, wenn es um die Ehre Gottes und das Heil der Menschen geht“[29]; die innere Stütze dieser anspruchsvollen asketischen Fähigkeit ist der Gedanke an das Paradies als Spiegelbild des guten Gewissens, mit dem er arbeitet und lebt. „Bei unseren Aufgaben, bei unserer Arbeit, in Schmerz und Leid, lasst uns nie vergessen, dass […] Er genau Buch führt über jede kleinste Sache, die wir für seinen heiligen Namen tun, und dass wir glauben, dass er uns zu seiner Zeit reichlich entschädigen wird. Am Lebensende, wenn wir vor seinem göttlichen Gericht stehen, wird Er uns liebevoll anschauen und zu uns sagen: „Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn! (Mt 25,21)“.[30] „Vergiss nie in Not und Leid, dass im Himmel ein großer Lohn für uns vorbereitet ist“.[31] Und wenn unser Vater sagt, dass der von zu viel Arbeit erschöpfte Salesianer einen Sieg für die ganze Kongregation darstellt, scheint er sogar eine Dimension der brüderlichen Communio in der Belohnung anzudeuten, gleichsam einen gemeinschaftlichen Sinn des Paradieses!

Der ständige Gedanke an das Paradies ist eine der maßgeblichen Ideen und eine der Triebkräfte typischer Spiritualität und auch der Pädagogik Don Boscos. Es ist, als würde man den Urinstinkt der Seele, die lebenskräftig auf ihr letztes Ziel zusteuert, vertiefend beleuchten.

In einer Welt, die anfällig für Verweltlichung und einen fortschreitenden Verlust des Gottesbewusstseins ist – vor allem aufgrund einer gewissen Mehrung des Wohlstands –, ist es wichtig, der Versuchung zu widerstehen – für uns und für die jungen Menschen, mit denen wir unterwegs sind –, die uns daran hindert, den Blick zum Himmel zu erheben. Sie vermittelt uns nicht das Bedürfnis, eine in unserer täglichen Arbeit gelebte Verpflichtung zur Askese aufrechtzuerhalten und zu pflegen. An ihrer Stelle wächst ein weltlicher Blick, der mehr oder weniger horizontal ausgerichtet ist und glaubt, das Ideal von allem in menschlicher Entwicklung rein im gegenwärtigen Leben entdecken zu können. Das ist ganz das Gegenteil von Hoffnung!
«Don Bosco ist einer der Großen der Hoffnung. Viele Elemente zeigen das. Sein ganzer salesianischer Geist ist durchdrungen von der Gewissheit und dem Fleiß, die für diesen kühnen Schwung des Heiligen Geistes charakteristisch sind.»

Ich halte kurz inne, um daran zu erinnern, wie Don Bosco «in der Lage war, die Kraft der Hoffnung auf zwei Seiten seines Lebens zu übertragen: den Einsatz für die persönliche Heiligung und den Heilsauftrag für die anderen; besser noch – und hier liegt ein zentrales Merkmal seines Geistes – die persönliche Heiligung durch das Heil der anderen.» Wir denken «an die berühmte Formel der drei „S“: „Salve, salvando salvati“.[32] So einfach ausgedrückt, klingt es wie ein Gedächtnisspiel, wie ein pädagogischer Slogan, aber es ist tiefgründig und zeigt, wie die beiden Seiten der persönlichen Heiligung und des Heils des Nächsten eng miteinander verbunden sind.»

In dem Wortpaar „Arbeit“ und „Mäßigkeit“ «erkennt man, dass die Hoffnung von Don Bosco als praktische, tägliche Planung eines unermüdlichen Fleißes für Heiligung und Heil gelebt wurde. Sein Glaube führte ihn dahin, in der Betrachtung von Gottes Geheimnis seinen unvergleichlichen Heilsplan vorzuziehen. Er sieht in Christus den Retter der Menschheit und den Herrn der Geschichte; in seiner Mutter Maria die Helferin der Christen; in der Kirche das große Heilssakrament; im eigenen christlichen Reifen und in der bedürftigen Jugend das weite Feld des „Noch-nicht“. Deshalb bricht sein Herz in den Schrei aus: „Da mihi animas, cetera tolle!“ Herr, gewähre mir, die Jugend zu retten, und nimm alles andere weg von mir! In seinem Geist verschmelzen die Nachfolge Christi und die Sendung zur Jugend zu einer einzigen theologischen Dynamik, die das Rückgrat des Ganzen bildet.»

Wir wissen sehr wohl, dass die Dimension der christlichen Hoffnung die Perspektive des „Schon“ mit der des „Noch-nicht“ verbindet: etwas Gegenwärtiges und etwas Entstehendes, das sich jedoch ab heute zu zeigen beginnt, wenn auch „noch nicht“ in seiner Fülle.

5.1.3 Eigenschaften der Hoffnung bei Don Bosco
«Die Gewissheit des „Schon“
Wenn wir die Theologie fragen, was der formale Gegenstand der Hoffnung ist, antwortet sie uns, dass es die innige Überzeugung von der Gegenwart Gottes ist, der hilft, der beisteht und unterstützt; die innere Gewissheit über die Kraft des Heiligen Geistes; die Freundschaft mit dem siegreichen Christus», die uns mit dem heiligen Paulus sagen lässt: „Alles vermag ich durch den, der mich stärkt“ (Phil 4,13).
«Das erste wesentliche Element der Hoffnung ist daher die Gewissheit des „Schon“. Die Hoffnung ermuntert den Glauben, sich in der Betrachtung von Gottes heilbringender Gegenwart in den menschlichen Wechselfällen, der Kraft des Heiligen Geistes in der Kirche und in der Welt, des Königtums Christi über die Geschichte sowie der Werte der Taufe, die in uns das Leben der Auferstehung begonnen hat, zu üben.»
«Das erste wesentliche Element der Hoffnung ist daher die Ausübung des Glaubens an das Wesen Gottes als barmherzigen Vater und Retter, an das, was Jesus Christus bereits für uns getan hat, an Pfingsten als Beginn des Zeitalters des Heiligen Geistes, an das, was bereits in uns ist durch die Taufe, durch die Sakramente, durch das Leben der Kirche sowie durch den persönlichen Ruf unserer Berufung.
Wir müssen bedenken, dass Glaube und Hoffnung sich in uns austauschen, ihre Dynamiken sich gegenseitig anregen und ergänzen und dass sie uns in einem schöpferischen Klima der übernatürlichen Kraft des Heiligen Geistes leben lassen.

Das klare Bewusstsein des „Noch-nicht“
Das zweite wesentliche Element der Hoffnung ist das Bewusstsein des „Noch-nicht“. Es scheint nicht sehr schwer zu sein, es zu haben; die Hoffnung erfordert jedoch ein klares Bewusstsein nicht so sehr von dem, was böse und ungerecht ist, sondern eher von dem, was an der Statur Christi in der Zeit fehlt, und daher von dem, was ungerecht und sündig ist, und auch von dem, was unreif, unvollständig oder kümmerlich beim Aufbau des Reiches Gottes ist.
Das setzt als Bezugsrahmen ein klares Wissen über den göttlichen Heilsplan voraus, in den sich die Kritik- und Urteilsfähigkeit des Hoffenden einfügt. Die Kritik am Menschen der Hoffnung ist also nicht einfach psychologisch oder soziologisch, sondern transzendent, entsprechend dem theologischen Bereich der „neuen Schöpfung“; sie bedient sich auch der Beiträge der Humanwissenschaften und geht weit darüber hinaus.
Mit dem Bewusstsein des „Noch-nicht“ nimmt der Hoffende wahr, was böse ist, was noch nicht reif ist, was in Bezug auf das Reich Gottes noch Samen ist, und bemüht sich, das Gute wachsen zu lassen und die Sünde mit der historischen Perspektive Christi zu bekämpfen. Die Fähigkeit, das „Noch-nicht“ zu erkennen, wird immer an der Gewissheit des „Schon“ gemessen. Deshalb drängt und ermuntert der Hoffende – und ich würde sagen, besonders in schwierigen Zeiten –, seinen Glauben, die Zeichen der Gegenwart Gottes und die Fürsprache zu entdecken, die uns in die von Ihm vorgezeichnete Bahn führen. Das ist heute eine sehr wichtige Eigenschaft: die Samen erkennen zu können, um ihnen beim Keimen und Wachsen zu helfen.
Wie kann man hoffen, wenn es nicht diese Fähigkeit zur Erkenntnis gibt? Es reicht nicht aus, das ganze Gewicht des Bösen wahrzunehmen, man muss auch sensibel für den Frühling sein, der „rundherum leuchtet“. In diesen Zeiten, von denen wir sagen, dass sie schwierig sind (und das sind sie wirklich im Vergleich mit den früher erlebten Zeiten von einer gewissen Ruhe), hilft uns also die Hoffnung wahrzunehmen, dass es auch viel Gutes in der Welt gibt und dass etwas dabei ist zu wachsen.»

«Rettender Eifer
Ein drittes wesentliches Element der Hoffnung ist ihr wirksamer Anspruch, der von dem konkreten Einsatz zur Heiligung, zu apostolischer Erfindungsgabe und zu Opferbereitschaft begleitet wird. Wir müssen mit dem wachsenden „Schon“ zusammenarbeiten, wir müssen uns bewegen, um gegen das Böse in uns und in den anderen, besonders in der bedürftigen Jugend, zu kämpfen.
Die Unterscheidung des „Schon“ und des „Noch-nicht“ muss sich in der Lebenspraxis niederschlagen, indem man sich für Vorsätze, Pläne, Überprüfungen, Einfallsreichtum, Geduld und Beständigkeit öffnet. Nicht alles wird sich so ergeben, „wie wir es uns erhofft haben“: Es wird Rückschläge und Niederlagen, Misserfolge und Missverständnisse geben. Die christliche Hoffnung hat auch Anteil an den Dunkelheiten des Glaubens.»

5.1.4 Die „Früchte“ der Hoffnung bei Don Bosco
«Aus den drei wesentlichen Elementen der Hoffnung, die ich gerade genannt habe, ergeben sich einige besonders bedeutsame Früchte für den salesianischen Geist Don Boscos.»

Freude
«Aus dem ersten wesentlichen Element – die Gewissheit des „Schon“ – ergibt sich die Freude als charakteristische Frucht.Jede echte Hoffnung mündet in Freude. […]
Der salesianische Geist nimmt die Freude der Hoffnung durch eine ganz eigene Affinität auf. Sogar die Biologie bietet dafür einige Beispiele. Die Jugend, die die menschliche Hoffnung ist (und damit eine gewisse Analogie zum Geheimnis der christlichen Hoffnung nahelegt), ist gierig nach Freude. Und wir sehen, wie Don Bosco die Hoffnung in eine Atmosphäre der Freude für die zu rettende Jugend übersetzt. Dominikus Savio, der in seiner Schule aufwuchs, sagte: „Unsere Heiligkeit soll in der Fröhlichkeit bestehen.“ Es handelt sich nicht um eine für die Welt typische, oberflächliche Heiterkeit, sondern um eine innere Freude, eine Grundlage für den christlichen Sieg, einen lebendigen Einklang mit der Hoffnung, der in Fröhlichkeit mündet. Eine Freude, die letztlich aus der Tiefe des Glaubens und der Hoffnung hervorgeht.
Es gibt wenig zu machen. Wenn wir traurig sind, sind wir es, weil wir oberflächlich sind. Ich verstehe, dass es eine christliche Traurigkeit gibt: Jesus Christus hat sie gelebt. Im Garten Gethsemane war seine Seele zu Tode betrübt, er hat Blut geschwitzt. Es handelt sich gewiss um eine andere Art der Traurigkeit.
Aber der Kummer oder die Melancholie, durch die eine Schwester[33] den Eindruck hat, dass sie von niemanden verstanden wird, dass die anderen keine Rücksicht auf sie nehmen, dass sie auf ihre Qualitäten eifersüchtig sind oder kein Verständnis für diese haben usw., sind eine Traurigkeit, die nicht genährt werden sollte. Dem muss die tiefgehende Hoffnung gegenübergestellt werden: Gott ist bei mir und hat mich gern; was macht es da schon, dass andere nicht so viel von mir halten?
Freude gehört im salesianischen Geist zum Alltagsklima; sie entspringt einem Glauben, der hofft, und einer Hoffnung, die glaubt, das heißt aus der Dynamik des Heiligen Geistes, der in uns den Sieg verkündet, der die Welt überwindet! … Freude ist unverzichtbar, um ein authentisches Zeugnis für das abzulegen, woran wir glauben und worauf wir hoffen.
Der salesianische Geist ist in erster Linie dies und kann nicht auf bloße Observanz und Selbstüberwindung reduziert werden. Die Hoffnung bringt uns auch zur Selbstverleugnung, aber als Flugübung und nicht als Gefängnisstrafe! Also: aus der Hoffnung viel Freude! […]
Die Welt versucht, ihre Begrenztheit und Orientierungslosigkeit mit einem Leben voller aufregender Empfindungen zu überwinden. Sie kultiviert die Förderung und Befriedigung der Empfindungen, den aufreizenden Film, Erotik, Drogen usw. Es ist eine Möglichkeit, einer vorübergehenden Situation zu entkommen, die keinen Sinn zu haben scheint, um etwas zu suchen, das an eine „Karikatur der Transzendenz“ grenzt.»

Geduld
«Eine andere „Frucht“ der Hoffnung, die aus dem Bewusstsein des „Noch-nicht“ hervorgeht, ist die Geduld.Zu jeder Hoffnung gehört eine gehörige Portion Geduld. Geduld ist eine christliche Haltung, die untrennbar mit der Hoffnung in deren nicht kurzer Spanne des „Noch-nicht“, mit ihren Sorgen, ihren Schwierigkeiten und ihrer Dunkelheit verbunden ist. Es erfordert eine innere Struktur der Hoffnung, die zur Geduld führt, wenn wir an die Auferstehung glauben und für den Sieg des Glaubens handeln wollen, während wir sterblich und ins Vergängliche eingetaucht sind.
Den erhabensten Ausdruck der christlichen Geduld hat Jesus Christus vor allem während seiner Passion und seines Sterbens gelebt. Es ist eine fruchtbare Geduld, gerade wegen der Hoffnung, die sie beseelt. […] Hier geht es bei der Geduld nicht um Initiative und Handeln, sondern um die bewusste Akzeptanz und tugendhafte Passivität, die im Hinblick auf die Verwirklichung von Gottes Plan erduldet. […]
Der salesianische Geist Don Boscos mahnt uns oft zur Geduld. In der Einleitung zu den Konstitutionen erinnert uns Don Bosco in Anspielung auf den heiligen Paulus daran, dass die Mühen, die wir in diesem Leben ertragen müssen, dem Lohn, der auf uns wartet, in nichts nachstehen: „Er pflegte zu sagen: Nur Mut! Die Hoffnung stützt uns, wenn die Geduld zu fehlen scheint“.[34] „Was die Geduld aufrechterhält, muss die Hoffnung auf den Lohn sein“.[35]
Auch Maria Dominika Mazzarello bestand auf diesem Punkt. [Einer ihrer ersten Biographen], Maccono bestätigt, dass die Hoffnung sie immer tröstete, sie in ihren Leiden, Schwächen und Zweifeln unterstützte und sie in der Stunde des Todes aufmunterte: „Ihre Hoffnung war sehr lebendig und aktiv. Es scheint mir“, bezeugte eine Schwester, „dass die Hoffnung sie in allem beseelte und sie versuchte, diese anderen einzuflößen. Sie ermahnte uns, die kleinen täglichen Kreuze gut zu tragen und alles in reinster Absicht zu tun“.[36] […]
Die Hoffnung ist die Mutter der Geduld und die Geduld ist die Verteidigung und der Schild der Hoffnung.»

Erzieherische Sensibilität
«Aus dem dritten wesentlichen Element der Hoffnung – dem „rettenden Eifer“ – geht eine weitere Frucht hervor: die pädagogische Sensibilität.Sie ist ein angemessen engagierter Unternehmungsgeist, sowohl im Bereich der eigenen Heiligung (Nachfolge Christi) als auch im Bereich des Heils der anderen (Sendung). Sie bringt ein praktisches, maßvolles und beständiges Engagement mit sich, das Don Bosco in eine konkrete Methodik umgesetzt hat», die auf folgende Dinge Acht gibt:
«Schlauheit (oder die heilige „Schläue“): Wenn es darum geht, Initiative zu ergreifen oder Probleme zu lösen, tut Don Bosco alles, was er kann, ohne den Anschein von Perfektionismus, sondern mit schlichter Zweckmäßigkeit. Oft wiederholte er folgenden Satz: „Das Beste ist der Feind des Guten“.[37]»
Kühnheit. «Das Böse ist organisiert, die Kinder der Finsternis handeln durchdacht. Das Evangelium sagt uns, dass die Kinder des Lichtes schlauer und mutiger sein müssen. Um in der Welt zu arbeiten, muss man sich daher mit echter Klugheit wappnen, das heißt mit jenem „auriga virtutum“ [= Steuermann der Tugenden], wodurch wir wendig, reaktionsschnell und hartnäckig sind, wenn wir uns mit wahrer Unerschrockenheit für das Gute einsetzen wollen.»
Großmut. «Wir dürfen unseren Blick nicht in den Wänden unseres Zuhauses einsperren. Wir sind vom Herrn gerufen, die Welt zu retten, wir haben eine historische Mission, die wichtiger ist als die der Astronauten oder Wissenschaftler … Wir setzen uns für die ganzheitliche Befreiung des Menschen ein. Unsere Seele muss für sehr weit gefasste Perspektiven offen sein. Don Bosco wollte, dass wir „zur Vorhut des Fortschritts“ gehören (und er sagte diesen Satz in Bezug auf die sozialen Kommunikationsmittel).»
«Wir kennen Don Boscos Großmut, wenn es darum geht, junge Menschen in apostolische Verantwortung zu entlassen;» denken wir, zum Beispiel, an die ersten nach Amerika aufgebrochenen Missionare. Sowohl die Salesianer als auch die Don-Bosco-Schwestern waren kaum erst aus dem Jungen- und Mädchenalter heraus!
Don Bosco bewegte sich innerhalb eines weiten Horizonts. Weder Valdocco noch Mornese waren ausreichend für ihn; er konnte nicht nur innerhalb der Grenzen Turins, des Piemonts, Italiens oder Europas bleiben. Sein Herz schlug mit dem der Weltkirche, denn er fühlte sich geradezu dazu verpflichtet, die gesamte bedürftige Jugend der Welt zu retten. Er wollte, dass die Salesianer die größten und dringendsten Probleme der Kirche mit der Jugend als ihre eigenen betrachteten, damit sie überall zur Verfügung stehen können. Während er den Großmut bei Projekten und Initiativen kultivierte, war er konkret und praktisch bei ihrer Umsetzung, mit einem Sinn für ein schrittweises Vorankommen und für bescheidene Anfänge.»
«Auf dem Antlitz des Salesianers muss immer Großmut leuchten, als Zeichen der Sympathie: Er darf kein Köpfchen ohne Zukunftsvision sein, sondern muss Seelengröße besitzen, weil er ein Herz hat, das von Hoffnung erfüllt ist.
Charles Péguy[38] (1873-1914) schrieb mit seiner etwas heftigen Schärfe: „Eine Kapitulation ist im Wesentlichen ein Vorgang, bei dem man anfängt zu erklären, statt umzusetzen. Feiglinge waren schon immer Menschen mit vielen Erklärungen“. Auf dem Antlitz des Salesianers muss, als sympathische Note, immer auch die mutige Entschiedenheit zu einer praktischen Umsetzung leuchten. Don Bosco war fest entschlossen, Gutes zu tun, auch wenn er nicht mit dem Besten beginnen konnte; er sagte, dass seine Werke vielleicht in Unordnung begannen, um dann zur Ordnung zu gelangen!»

«Die Hoffnung legt auf das Antlitz des Salesianers neben der Tiefe der Betrachtung, der Freude über die Gotteskindschaft, der Begeisterung dankbarer Zuversicht (die jeweils aus dem „Glauben“ kommen) auch den Mut der Initiative, die Opferbereitschaft der Geduld, die Weisheit des schrittweisen Vorgehens in der Pädagogik, die Hochherzigkeit des Träumens, die Demut bei der praktischen Umsetzung, die Umsicht der Schlauheit und das Lächeln der Fröhlichkeit.»

5.2 Die Treue zu Gott: bis zum Ende
Bis jetzt haben wir einen Blick darauf geworfen, was Don Bosco und unsere Heiligen und Seligen in ihrem Leben klar zum Ausdruck gebracht haben. Es handelt sich um Elemente, die jeden und jede von uns persönlich und als Don-Bosco-Familie dazu drängen, die Hoffnung, über die wir „Rechenschaft ablegen“ sollen, zum Vorschein zu bringen oder – um es erneut mit den Worten von Don Egidio Viganò zu sagen – leuchten zu lassen, vor allem gegenüber den jungen Menschen und unter diesen gegenüber den ärmsten.

Es ist an der Zeit, ein wenig über das „unmittelbar Sichtbare“ hinaus zu „spähen“ und zu versuchen, zu erfahren, was uns im Leben erwartet und uns den Mut gibt, eifrig zu warten, während wir am Kommen des „Tags des Herrn“ mitarbeiten.

Richten wir nun unsere Aufmerksamkeit auf die Perspektive des „Lohns“, wobei wir uns weiterhin auf die freimütige und eindringliche Analyse des siebten Nachfolgers Don Boscos[39] beziehen.

Der Diamant des „Lohns“ befindet sich mit vier weiteren Diamanten auf der Rückseite des Mantels der Person aus dem Traum. Es ist fast ein Geheimnis, eine Kraft, die von innen heraus wirkt, die uns den Anstoß gibt und uns hilft, die großen Werte, die wir auf der Vorderseite sehen, aufrechtzuerhalten und zu verteidigen. Es ist interessant festzustellen, dass der Diamant des „Lohns“ sich unter dem der „Armut“ befindet, weil er sicherlich einen Bezug zu den damit verbundenen „Entbehrungen“ hat.

Auf seinen Strahlen stehen die folgenden Worte: „Wer sich einer großen Belohnung erfreuen will, der schrecke vor zahlreichen Mühen nicht zurück“. „Wer mit mir leidet, der wird sich auch mit mir freuen“. „Unsere Leiden auf Erden sind nur vorübergehend, jedoch die Freuden, die meine Freunde im Himmel genießen werden, währen ewiglich“.

«Der echte Salesianer hat in seiner Vorstellungskraft, in seinem Herzen, in seinen Wünschen und in seinem Lebenshorizont die Vision des Lohns, als die Fülle der vom Evangelium verkündeten Werte.» Deshalb „ist er stets ein froher Mensch. Er verbreitet diesen Frohsinn und versteht es, zur Freude des christlichen Lebens sowie zum Sinn für Fest und Feier anzuleiten“.[40]

Im Haus Don Boscos und in unseren salesianischen Häusern «sprach man oft vom Himmel. Das war eine dauerhafte und allgegenwärtige Idee», die in einigen bekannten Aussagen zusammengefasst wurde: «„Brot, Arbeit und Himmel“.[41] „Ein Stückchen Paradies macht alles gut!“[42] Das sind häufig auftauchende Sätze in Valdocco und Mornese.»

Gewiss erinnern sich viele Don-Bosco-Schwestern an «die Beschreibung von Mutter Henriette Sorbone über den Geist von Mornese: „Wir leben hier im Paradies, denn im Hause existiert das Milieu des Paradieses“.[43] Das lag sicher nicht an den Entbehrungen oder fehlenden Problemen. Es war wie eine spontane, aus dem Herzen kommende Übersetzung des Spruchs, den Don Bosco hatte anbringen lassen: „Servite Domino in laetitia!“ [= „Dient dem Herrn mit Freude!“].[44]

Auch Dominikus Savio hatte die gleiche warmherzige und übernatürliche Lebensaura wahrgenommen: „Unsere Heiligkeit soll in der Fröhlichkeit bestehen“.[45]

In den Biographien» von Dominikus Savio, Franz Besucco und Michael Magone «ist Don Bosco bestrebt, selbst wenn er die letzte Stunde beschreibt, diese unaussprechliche Freude, verbunden mit einer echten Unruhe nach dem Himmel, zu betonen. Mehr noch als den Schrecken des Todes spüren seine Jungen die Anziehungskraft von Ostern.»

«Der Gedanke an den Lohn gehört zu den Früchten der Gegenwart des Heiligen Geistes, das heißt der Intensität des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, von allen dreien zusammen, auch wenn er enger mit der Hoffnung verbunden ist. Er flößt dem Herzen eine Freude und Fröhlichkeit ein, die von oben kommt und wunderbar auf die angeborene Sehnsucht des menschlichen Herzens abgestimmt ist. Wir sehen das, wenn wir unter den Jungen und Mädchen leben: Die Jugend erfasst intuitiv mit größerer Frische, dass der Mensch für das Glück geboren ist.

Aber wir müssen nicht einmal unter den jungen Menschen danach suchen. Nehmen wir einen Spiegel und betrachten uns selbst: Es reicht, die Schläge unseres Herzens zu hören. Wir sind geboren, um glücklich zu werden, wir erwarten es, auch ohne es zuzugeben.

Die in Don Boscos Haus immer gegenwärtige Idee des Paradieses ist keine Utopie aufgrund einfältiger Täuschungen, sie ist nicht das Zuckerbrot, das das Pferd dazu bringt, schneller zu laufen, sie ist nicht die substanzielle Angst unseres Seins; sie ist vor allem die Wirklichkeit der Liebe Gottes, der Auferstehung Jesu Christi, wirksam in der Geschichte, und die lebendige Gegenwart des Heiligen Geistes, die uns nämlich auf den Lohn hindrängen.»

Don Bosco «verachtete die Freude der jungen Menschen nicht. Im Gegenteil weckte er sie auf, steigerte und entwickelte sie. Die berühmte „Fröhlichkeit“, aus der die Heiligkeit besteht, ist nicht einfach eine innere Freude, die im Herzen als Frucht der Gnade verborgen ist. Das ist ihre Wurzel. Sie drückt sich auch äußerlich aus, im Leben, im Spielhof und im Sinn für Feste.

Wie er religiöse Feste, Namenstage und Feiertage für das Oratorium vorbereitete! Er kümmerte sich sogar darum, die Feier seines eigenen Namenstages zu organisieren, nicht für sich, sondern um eine Atmosphäre der freudigen Dankbarkeit zu schaffen.

Denken wir auch» an seine mutigen Herbstwanderungen: «zwei oder drei Monate zur Vorbereitung, 15 oder 20 Tage des Erlebens, dann die anhaltenden Erinnerungen und Kommentare: eine Freude, die sich in der Zeit» ausdehnt. Was für eine Phantasie und was für ein Mut! Von Turin nach Becchi, nach Genua und Mornese, in so viele Orte des Piemonts, mit Dutzenden Jungen … Wanderungen, Spiel, Musik, Gesang, Theater sind wesentliche Elemente des Präventivsystems, das – auch als pädagogische Methode – eine treffende und außergewöhnliche Spiritualität voraussetzt, Frucht eines überzeugten Glaubens, einer überzeugten Hoffnung und Nächstenliebe, […] Werte des Himmels hier auf der Erde.

Am Firmament von Valdocco zeigte sich immer, Tag und Nacht, mit oder ohne Wolken, das Paradies.» «Wenn wir heute die Werte des Lohns bezeugen, ist das eine dringende Prophetie für die Welt und vor allem für die Jugend. Was hat die technische, industrielle Kultur der Konsumgesellschaft gebracht? Enorme Möglichkeiten, es bequem zu haben und sich zu vergnügen», mit einer daraus folgenden bedrückenden Traurigkeit.

Unter anderem lesen wir in den Konstitutionen der Salesianer Don Boscos – aber das ist auch für jeden Christen gültig –, dass der „Salesianer [ein] Zeichen für die Kraft der Auferstehung“ ist und „in der Einfachheit und Arbeitslast des täglichen Lebens […] Erzieher [ist], der den Jugendlichen ‚einen neuen Himmel und eine neue Erde‘ verkündet und in ihnen zugleich Einsatzbereitschaft und die Freude der Hoffnung weckt“.[46]

«In Mornese und Valdocco gab es weder Bequemlichkeit noch Diktatur, alles atmete Spontaneität und Fröhlichkeit. Der technische Fortschritt hat viele Dinge vereinfacht, aber er hat nicht die echte Freude des Menschen vermehrt. Stattdessen haben Angst und Abscheu zugenommen, die Sinnlosigkeit des Daseins hat sich verschärft», was wir leider immer wieder – vor allem in den Wohlstandsgesellschaften – an den tragischen Statistiken über Selbstmorde von Heranwachsenden und Jugendlichen erkennen können.

Neben der materiellen Armut, unter der ein sehr großer Teil der Menschheit immer noch leidet, ist es heute dringend notwendig, «einen Weg zu finden, um der Jugend den Sinn des Lebens, die höheren Ideale und die Ursprünglichkeit Jesu Christi nahe zu bringen.

Man sucht das Glück, eine wesentliche Veranlagung des Menschen, aber man kennt nicht mehr den rechten Weg und so wächst eine immense Enttäuschung.»

Die jungen Menschen fühlen sich, auch aufgrund eines Mangels an Erwachsenen, die für sie bedeutungsvoll sind, nicht in der Lage, «mit Leid, Pflicht und ständiger Verbindlichkeit umzugehen. Die Frage der Treue zu den eigenen Idealen und der eigenen Berufung ist entscheidend geworden. Die Jugend fühlt sich unfähig, Leiden und Opfer auf sich zu nehmen. Sie lebt in einem Umfeld, in dem die Trennung von Liebe und Opferbereitschaft triumphiert», so dass das Streben allein nach dem Erreichen von Wohlstand am Ende die Fähigkeit erstickt, zu lieben, und somit von der Zukunft zu träumen.

Wie wir schon sagten, «steht der Diamant des Lohns genau unter dem der Armut, als wolle er uns zeigen, dass sich die beiden ergänzen und gegenseitig unterstützen. Tatsächlich bedeutet evangelische Armut eine konkrete und übernatürliche Sicht auf die gesamte Wirklichkeit mit einem realistischen Blick auch auf Verzicht, Leiden, Rückschläge, Entbehrungen und Strafen.

Was ist die innere Kraft, die dazu bringt, alles mit Zuversicht und einem fröhlichen Gesicht anzugehen, ohne sich entmutigen zu lassen? Letzten Endes ist es der Sinn dafür, dass der Himmel auf Erden gegenwärtig ist. Dieser Sinn entspringt dem Glauben, der Hoffnung und der Liebe, die uns das ganze Sein aus der Perspektive des Heiligen Geistes betrachten lassen.

Die Welt braucht dringend Propheten, die durch ihr Leben die große Wahrheit des Paradieses verkünden. Es ist kein entfremdendes Fliehen-wollen, sondern eine eindringliche, anregende Wirklichkeit!»

So «ist sich Don Bosco ständig der Sorge darum bewusst, die Vertrautheit mit dem Paradies zu pflegen, als wäre sie das Firmament des Verstandes, der Horizont des salesianischen Herzens: Wir arbeiten und kämpfen in der Gewissheit des Lohns, mit Blick auf das Vaterland, das Haus Gottes, das Gelobte Land.»

Es ist wichtig, klarzustellen, dass die Perspektive auf den Lohn nicht darin besteht, eine „Belohnung“ zu erhalten, eine Art Trostpflaster für ein Leben inmitten so vieler Opfer, Mühen … Nichts davon! Wäre es nur eine „Belohnung“, würde es einer Erpressung ähnlich sein. Aber Gott handelt nicht auf diese Weise. In Seiner Liebe kann er sich nur selbst dem Menschen schenken. Das ist – wie Jesus sagt – das ewige Leben: die Erkenntnis des Vaters. Wo „erkennen“ „lieben“ bedeutet, ein vollwertige Teilhaber Gottes zu werden, in Kontinuität mit dem irdischen Dasein, das „in Gnade“ gelebt wird, das heißt in Liebe zu Gott und den Brüdern und Schwestern.

Auf diesem Weg sind wir eingeladen, unseren Blick auf Maria zu richten, die «sich als tägliche Hilfe, als Wegbereiterin und Helferin der Christen zeigt. Don Bosco ist sich ihrer Gegenwart unter uns gewiss und will Zeichen setzen, um uns daran zu erinnern.

Für Sie hat er eine Basilika erbaut, Zentrum der Animation und Verbreitung der salesianischen Berufung. Er wollte Ihr Bild in unserem Lebensumfeld; er verband jede apostolische Initiative mit Ihrer Fürsprache und kommentierte gerührt ihre reale und mütterliche Wirksamkeit.» Denken wir zum Beispiel daran, was er den Don-Bosco-Schwestern in ihrem Haus «in Nizza sagte: „Die Muttergottes ist wirklich hier, hier, mitten unter euch! Die Muttergottes geht durch dieses Haus und bedeckt es mit ihrem Mantel“.[47]»

Neben Ihr «suchen wir im Haus Gottes auch weitere Freunde.» Unsere Heiligen und Seligen, beginnend mit den vertrautesten Gesichtern, die Teil des sogenannten «„salesianischen Gartens“ sind.

Wir treffen diese Wahl nicht, um das große Haus Gottes in kleine, private Wohnungen zu unterteilen, sondern um uns darin leichter zu Hause zu fühlen und um über Gott, den Vater, den Sohn, den Heiligen Geist, Christus und Maria, die Schöpfung und die Geschichte sprechen zu können, nicht mit der Angst desjenigen, der den hohen Vortrag eines dichten, schwierigen und sogar hermetischen Denkers gehört hat, sondern mit dem Gefühl der Vertrautheit und der freudigen Einfachheit, mit dem wir mit denen sprechen, die unsere Verwandten, unsere Brüder und Schwestern, unsere Kollegen und unsere Arbeitskollegen waren. Einige von ihnen haben wir im Leben nicht gekannt, aber wir fühlen uns ihnen nahe und sie flößen uns ein besonderes Vertrauen ein. Mit dem heiligen Josef, Don Bosco, Mutter Mazzarello, Don Rua, Dominikus Savio, Laura Vicuña, Don Rinaldo, Msgr. Versiglia und Don Caravario, Schwester Teresa Valsè, Schwester Eusebia Palomio usw. zu sprechen, ist wirklich ein Gespräch „zu Hause“», in der Familie.

«Das ist es, was uns der Diamant des Lohns anbietet: sich bei Gott, bei Christus, bei Maria, bei den Heiligen zu Hause zu fühlen; ihre Gegenwart im eigenen Haus zu spüren, in einer familiären Atmosphäre, die dem täglichen Lebensumfeld ein Gefühl von Paradies verleiht.»

6. MIT … MARIA – HOFFNUNG UND MÜTTERLICHE GEGENWART
Am Ende dieses Kommentars können wir nicht anders als unser Herz und unseren Blick auf die Jungfrau Maria zu richten, wie es uns Don Bosco gelehrt hat.
Hoffnung erfordert Vertrauen, die Fähigkeit, sich hinzugeben und anzuvertrauen.
Dabei haben wir in Maria eine Führerin und Lehrmeisterin.

Sie gibt Zeugnis davon, dass Hoffnung bedeutet, sich anzuvertrauen und sich hinzugeben, und das ist sowohl für das Leben auf der Erde als auch für das ewige Leben wahr.

Auf diesem Weg nimmt uns die Gottesmutter an die Hand und lehrt uns, wie wir Gott vertrauen und uns frei der Liebe hingeben können, die uns ihr Sohn Jesus vermittelt.
Die Anweisung und die „Navigationskarte“, die sie uns gibt, sind gleich: „Was er euch sagt, das tut!“[48] Eine Aufforderung, die wir jeden Tag in unserem Leben annehmen.

In Maria sehen wir die Verwirklichung des Lohns.
Maria verkörpert die Anziehungskraft und Konkretheit des Lohns: Sie wurde

„nach Vollendung des irdischen Lebenslaufs mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen und als Königin des Alls vom Herrn erhöht, um vollkommener ihrem Sohn gleichgestaltet zu sein, dem Herrn der Herren und dem Sieger über Sünde und Tod“.[49]

Wir können auf Ihren Lippen einige schöne Worte des heiligen Apostels Paulus lesen. Da diese vom Heiligen Geist, dem Bräutigam Marias, inspiriert sind, werden sie sicherlich von Ihr geteilt.

Sie heißen:
„Christus Jesus, der gestorben ist, mehr noch: Der auferweckt worden ist, er sitzt zur Rechten Gottes und tritt für uns ein. Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? […]
Doch in alldem tragen wir einen glänzenden Sieg davon durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten, weder Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“.
[50]
Liebe Schwestern und Brüder, liebe Jugendliche und junge Erwachsene,
Maria, die Helferin der Christen, Don Bosco und all unsere Heiligen und Seligen sind uns in diesem außergewöhnlichen Jahr nahe. Sie mögen uns dabei begleiten, das Heilige Jahr in der Tiefe zu leben, und uns helfen, die Person Jesu Christi, den „im Evangelium verkündete[n] Erlöser, der heute in der Kirche und in der Welt lebt“[51], in den Mittelpunkt unseres Lebens zu stellen.

Sie ermutigen uns, dem Beispiel der ersten von Don Bosco ausgesandten Missionare zu folgen und unser Leben immer und überall zu einer kostenlosen Gabe für andere zu machen, vor allem für die jungen Menschen und unter ihnen für die Ärmsten.

Zum Schluss noch ein Wunsch: Möge dieses Jahr in uns das Gebet für den Frieden, für eine befriedete Menschheit wachsen lassen. Beschwören wir das Geschenk des Friedens – den biblischen Schalom –, der alle anderen beinhaltet und nur in der Hoffnung Erfüllung findet.

In brüderlicher Umarmung

Don Stefano Martoglio SDB,
Vikar des Generaloberen

Rom, den 31. Dezember 2024


[1] Papst Franziskus, Spes non confundit, Verkündigungsbulle des Ordentlichen Jubiläums des Jahres 2025, Rom, 9. Mai 2024.

[2] Ebd.

[3] A. d. Ü.: Don Martoglio stützt sich in seinem Kommentar mehrmals auf die sog. Kapitel des Generalabtes der Zisterzienser, Mauro Giuseppe Lepori, nämlich hier seine Texte über die „Hoffnung in Christus“ von 2024, worauf er selbst zu Beginn von Abschnitt 4.2 hinweist. Diese sind in mehreren Sprachen unter www.ocist.org einsehbar. Die deutsche Version wurde für die vorliegende Übersetzung genutzt. In diesem Abschnitt greift Don Martoglio auf den dritten Vortrag mit dem Titel „Der Anker des Heils“ zurück: https://www.ocist.org/ocist/images/pdf/03DEKMA2024.pdf [aufgerufen: 17.01.2025].

[4] Vgl. Röm 8,39.

[5] Vgl. Röm 5,3–5.

[6] Messale romano, Rom: LEV 32020, 240 [A. d. Ü.: Seitenangabe der italienischen Ausgabe. Hier zitiert nach: https://www.ocist.org/ocist/images/pdf/03DEKMA2024.pdf].

[7] Vaclac Havel, zitiert nach: Byung-Chul Han, Der Geist der Hoffnung. Wider die Gesellschaft der Angst, Berlin: Ullstein 2024, S. 66f.

[8] Ebd., S. 67.

[9] Ebd.

[10] Ebd.

[11] A. d. Ü.: In diesem Abschnitt stützt sich Don Martoglio auf den vierten Vortrag des Generalabtes der Zisterzienser mit dem Titel „In der Hoffnung auf die Verheißung unseren Weg gehen“: https://www.ocist.org/ocist/images/pdf/04DEKMA2024.pdf [aufgerufen: 17.01.2025].

[12] C. Paccini – S. Troisi, Siamo nati e non moriremo mai più. Storia di Chiara Corbella Petrillo, Porziuncola, Assisi (PG) 2001.

[13] Vgl. Gabriel Marcel, Philosophie der Hoffnung, München: List 1957, S. 58.

[14] Byung-Chul Han, Der Geist der Hoffnung. Wider die Gesellschaft der Angst, Berlin: Ullstein 2024, S. 19.

[15] Erich Fromm, Die Revolution der Hoffnung. Für eine Humanisierung der Technik, München: dtv 21991, S. 23.

[16] 1 Petr 3,15.

[17] Papst Franziskus, Spes non confundit, Verkündigungsbulle des Ordentlichen Jubiläums des Jahres 2025, Rom, 9. Mai 2024, Nr. 9.

[18] Joh 17,3.

[19] Vgl. Röm 4,18.

[20] Papst Benedikt XVI., Enzyklika Deus caritas est, Vatikanstadt, 25. Dezember 2005, 1.

[21] K 3.

[22] Thomas von Aquin, Summa theologiae, IIa-IIae q. 17 a. 8 co.

[23] Vgl. E. LEVINAS, Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität, München: Alber 1987.

[24] Bei diesen Überlegungen beziehe ich mich auf die reichhaltigen Gedanken des Generalabtes der Zisterzienser, Mauro Giuseppe LEPORI, Kapitel des Generalabtes OCist für den KMA 2024, Hoffnung in Christus, die in verschiedenen Sprachen auf der Webseite www.ocist.org zur Verfügung stehen. A. d. Ü.: In diesem Abschnitt stützt sich Don Martoglio auf den zwölften Vortrag des Generalabtes der Zisterzienser mit dem Titel „Warten auf Gott“: https://www.ocist.org/ocist/images/pdf/12DEKMA2024.pdf [aufgerufen: 17.01.2025].

[25] Vgl. Röm 5,3–5.

[26] E. Viganò, Un progetto evangelico di vita attiva, Elle Di Ci, Leumann (TO) 1982, S. 68–84. A. d. Ü.: Die dem Buch zugrundeliegenden Exerzitien von Don Viganò für die Don-Bosco-Schwestern wurden nicht ins Deutsche übersetzt. Herzlichen Dank an Sr. Maria Maul, Frau Hildegard Renner und Sr. Anna Feichtner, die in den Archiven der Don-Bosco-Schwestern nach einer deutschen Übersetzung gesucht haben.

[27] Vgl. E. Viganò, Profilo del Salesiano nel sogno del personaggio dai dieci diamanti, in: Amtsblatt 62. Jg (1981), Nr. 300, S. 3–37 [der italienischen Ausgabe]. Der vollständige Traum findet sich in: Amtsblatt 62. Jg (1981), Nr. 300, S. 40–44 [der italienischen Ausgabe] oder in: MB XV, 182–187.

[28] MB VIII, 444.

[29] K 18.

[30] P. Braido (Hrsg.), Don Bosco Fondatore “Ai Soci Salesiani”(1875-1885). Introduzione e testi critici, Rom: LAS 1995, 159.

[31] MB V, 442.

[32] MB V, 409. A. d. Ü.: „Bleib wohlbehalten, indem du andere rettest, rette dich selbst“.

[33] A. d. Ü.: Der Text von Don Viganò, auf den sich Don Martoglio hier stützt, richtete sich an die Don-Bosco-Schwestern.

[34] MB XII, 458.

[35] Ebd.

[36] F. Maccono, Santa Maria Domenica Mazzarello. Confondatrice e prima Superiora Generale delle FMA, Bd. 1, FMA, Turin 1960, 398.

[37] MB X, 893.

[38] A. d. Ü.: französischer Schriftsteller.

[39] E. Viganò, Un progetto evangelico di vita attiva, Elle Di Ci, Leumann (TO) 1982, S. 211–225.

[40] K 17.

[41] MB XII, 600.

[42] MB VIII, 444.

[43] Zitiert in: E. VIGANÒ, Den Geist von Mornese wiederentdecken, in: Amtsblatt des Generalrates der Salesianer Don Boscos 62.  Jg. (1981), Nr. 301, S. 50.

[44] Ps 100,2.

[45] MB V, 356.

[46] K 63. Siehe auch E. Viganò, „Rendere ragione della gioia e degli impegni della speranza, testimoniando le insondabili ricchezze di Cristo“. Jahresleitgedanke 1994. Kommentar des Generaloberen, Istituto Figlie di Maria Ausiliatrice, Rom 1993.

[47] G. Capetti, Il cammino dell’Istituto nel corso di un secolo, Bd. 1, FMA, Rom 1972–1976, S. 122.

[48] Joh 2,5.

[49] LG, 59.

[50] Röm 8,34–35.37–39.

[51] K 196.




Unser jährliches Geschenk

Traditionell erhalten wir als Salesianische Familie jedes Jahr die Strenna, eine Glückwunschgabe zu Beginn des Jahres, und in diesen wenigen Zeilen möchte ich einen Blick auf dieses Geschenk werfen, um es so zu empfangen, wie es sich gehört, ohne dabei die Frische des Geschenks zu verlieren.


                Ein Geschenk, denn „Strenna“ bedeutet vor allem: Ich schenke Ihnen etwas! Ich schenke Ihnen etwas Wichtiges, um eine neue Zeit, ein neues Jahr zu feiern. So dachte Don Bosco und schenkte es allen Jugendlichen und Erwachsenen, die ihn begleiteten.
                Dieses Geschenk, die Strenna, möchte ich Ihnen für den Beginn des neuen Jahres, einer neuen Zeit geben.
                Das ist schön und wichtig: Ein neues Jahr, eine neue Zeit ist ein Gefäß, in dem alle anderen Inhalte enthalten sein werden. Das kommende Jahr ist nicht dasselbe wie die Jahre, die Sie bisher gelebt haben, das neue Jahr erfordert einen neuen Blick, um es in vollen Zügen zu leben; denn das neue Jahr wird nicht wiederkehren! Jede Zeit ist einzigartig, denn wir sind anders als im letzten Jahr, anders als wir im letzten Jahr waren.
                Bei der Strenna geht es darum, sich auf diese neue Zeit vorzubereiten, einen Blick in das neue Jahr zu werfen und bestimmte Dinge hervorzuheben, die in diesem Jahr eine wichtige Rolle spielen werden.

Der rote Faden
                Die Gabe der Zeit, des Lebens; im Leben die Gabe Gottes und all die anderen Gaben darin: Menschen, Situationen, Gelegenheiten, menschliche Beziehungen. Im Rahmen dieser providentiellen Sichtweise der Gabe der Zeit und des Lebens ist die Strenna, ein Geschenk, das Don Bosco… und nach ihm seine Nachfolger jedes Jahr der gesamten Salesianischen Familie machen… ein Blick auf das neue Jahr, auf die neue Zeit, um sie mit neuen Augen zu sehen.
                Die Strenna ist eine Hilfe, die kommende Zeit zu sehen, indem wir uns auf einen roten Faden konzentrieren, der diese neue Zeit leitet: Der rote Faden, den die Strenna uns gibt, ist die Hoffnung. Auch das ist wichtig! Das neue Jahr wird sicherlich viele Dinge bereithalten, aber verlieren Sie sich nicht! Fangen Sie an, darüber nachzudenken, wie wichtig es ist, sich nicht zu zerstreuen, sondern zu sammeln!
                Die Strenna, die unser Don Angel für uns zusammengebastelt hat, ist wie ein neues Kleid und hebt Ereignisse hervor, die wir alle erleben werden, und verbindet sie mit einem roten Faden, der Hoffnung!
                Die Ereignisse, die die Strenna von 2025 hervorhebt, sind globale oder besondere Ereignisse, die uns betreffen, weil wir sie gut leben:

• Das ordentliche Jubiläum des Jahres 2025: Ein Jubiläum ist ein kirchliches Ereignis, das uns in der katholischen Tradition vom Heiligen Vater geschenkt wird. Das Jubiläum zu leben bedeutet, diesen Pilgerweg zu gehen, den die Kirche uns anbietet, um die Gegenwart Christi wieder in den Mittelpunkt unseres Lebens und des Lebens der Welt zu stellen. Das Jubiläum von Papst Franziskus hat ein Leitmotiv: Spes non confundit! Die Hoffnung lässt nicht zugrunde gehen! Was für ein wunderbares Leitmotiv! Wenn es etwas gibt, was die Welt in dieser schwierigen Zeit braucht, dann ist es die Hoffnung, aber nicht die Hoffnung auf das, was wir glauben, für uns selbst tun zu können, auch auf die Gefahr hin, dass sie zu einer Illusion wird. Die Hoffnung auf die Wiederentdeckung der Anwesenheit Gottes. Papst Franziskus schreibt: „Möge die Hoffnung die Herzen erfüllen!“ Möge sie nicht nur das Herz erwärmen, sondern es erfüllen. Möge sie es bis zum Übermaß erfüllen!
• Die Hoffnung macht uns zu Pilgern, das Jubiläum ist eine Pilgerreise! Es setzt Sie innerlich in Bewegung, sonst ist es kein Jubiläum. Im Rahmen dieses kirchlichen Ereignisses, das uns Kirche spüren lässt, haben wir als Salesianische Kongregation und als Salesianische Familie ein wichtiges Jubiläum: 2025 jährt sich
• der 150. Jahrestag der ersten missionarischen Expedition nach Argentinien
Don Bosco, in Valdocco, wirft sein Herz über alle Grenzen hinaus: Er schickt seine Kinder ans andere Ende der Welt! Er schickt sie, jenseits aller menschlichen Sicherheiten, er schickt sie, wenn er nicht einmal das hat, was er braucht, um das fortzusetzen, was er begonnen hat.
Er schickt sie einfach! Der Hoffnung wird gehorcht, denn die Hoffnung treibt den Glauben an und setzt die Nächstenliebe in Gang. Er schickt sie und die ersten Mitbrüder machen sich auf den Weg und gehen dorthin, wo selbst sie es nicht wussten! Daraus sind wir alle geboren, aus der Hoffnung, die uns auf den Weg bringt und uns zu Pilgern macht.
Dieser Jahrestag sollte gefeiert werden, wie jeder Jahrestag, denn er hilft uns, das Geschenk zu erkennen (es ist nicht unser Eigentum, es wurde uns geschenkt), uns zu erinnern und Kraft für die kommende Zeit der Energie der Mission zu geben.
Die Hoffnung gründet die Mission, denn die Hoffnung ist eine Verantwortung, die man nicht verbergen oder für sich behalten kann! Verbergen Sie nicht, was Ihnen gegeben wurde; erkennen Sie den Geber an und geben Sie den nächsten Generationen mit Ihrem Leben das weiter, was Ihnen gegeben wurde! Das ist das Leben der Kirche, das Leben eines jeden von uns.
Der heilige Petrus, der weitblickend hat, schreibt in seinem ersten Brief: „allezeit bereit zur Verantwortung gegen jeden, der von euch Rechenschaft über die Hoffnung fordert, die ihr in euch habt“ (1 Petr 3,15). Wir müssen daran denken, dass die Antwort nicht in Worten besteht, sondern dass das Leben antwortet!
Leben Sie mit der Hoffnung, die in Ihnen ist, und bereiten Sie sich auf dieses neue Jahr vor – eine Reise mit jungen Menschen, mit Brüdern, um den Traum von Don Bosco und den Traum Gottes zu erneuern.

Unser Wappen
                „Auf meinem Labarum leuchtet ein Stern“ wurde einst gesungen. Auf unserem Wappen sind neben dem Stern auch ein großer Anker und ein brennendes Herz zu sehen.
                Hier sind einige einfache Bilder, um unsere Herzen auf die kommende Zeit einzustimmen: „Verankert in der Hoffnung, Pilger mit der Jugend“. Verankert ist ein sehr starker Begriff: Der Anker ist die Rettung des Schiffes im Sturm, fest, stark, verwurzelt in der Hoffnung!
                Innerhalb dieses Leitmotivs wird unser ganzes tägliches Leben sein: Menschen, Situationen, Entscheidungen… das „Mikro“ eines jeden von uns, das mit dem „Makro“ dessen, was wir alle zusammen leben werden, verschweißt ist… das Geschenk dieser Zeit, das uns gegeben ist, wird an Gott übergeben. Denn zu der Strenna, die wir alle erhalten werden, müssen Sie Ihren Teil hinzufügen; Ihr tägliches Leben, das Sie mit dem, was wir geschrieben haben und erhalten werden, zu erhellen wissen, sonst ist es keine Hoffnung, es ist nicht das, worauf Ihr Leben basiert, und es bringt Sie nicht in „Bewegung“ und macht Sie nicht zu einem Pilger.
                Wir vertrauen diesen Weg der Mutter des Herrn, der Mutter der Kirche und unserer Helferin an; Pilgerin der Hoffnung mit uns.




Jahresleitgedanke 2024. „Ein Traum, der träumen lässt“

Der Berufungstraum Don Boscos und seine Botschaft heute

(Text im PDF-Format)

Während meines Dienstes als Generaloberer konnte ich feststellen, dass der Jahresleitgedanke eines der schönsten Geschenke ist, die Don Bosco und seine Nachfolger der Don-Bosco-Familie jedes Jahr überreichen. Er hilft, gemeinsam unterwegs zu sein, und erreicht auch die entferntesla strenna da QUIten Orte. Gleichzeitig lässt er den jeweiligen Realitäten die Freiheit, das Vorgeschlagene für den Weg der einzelnen Erziehungs- und Pastoralgemeinschaften aufzunehmen, zu ergänzen und zu erschließen.

Dieses Jahr 2024 feiern wir den 200. Jahrestag der „Traumvision, die der kleine Johannes [1824] mit neun oder zehn Jahren in dem kleinen Haus in Becchi hatte“[1]: des Traums mit neun Jahren.

Der 200. Jahrestag des Traums, der „die ganze Art und Weise Don Boscos zu leben und zu denken bestimmt hat und vor allem seine Art, die Gegenwart Gottes im Leben eines jeden und in der Geschichte der Welt zu fühlen“[2], hat es – so glaube ich – verdient, ins Zentrum des Jahresleitgedankens gestellt zu werden, der das Jahr der gesamten Don-Bosco-Familie erzieherisch-pastoral leitet. Er kann bei der evangelisierenden Sendung, den erzieherischen Aktivitäten und Maßnahmen zur sozialen Förderung aufgenommen und vertieft werden, die in allen Teilen der Welt von unserer Familie, für die Don Bosco Inspiration und Vater ist, durchgeführt werden.

„Zuvor aber möchte ich ‚den Traum des neunjährigen Johannes Bosco‘ in Erinnerung rufen. Mir scheint in der Tat, dass diese autobiographische Seite eine einfache, aber gleichzeitig prophetische Präsentation des Geistes und der Sendung Don Boscos bietet. In ihm wird das Tätigkeitsfeld bestimmt, das ihm anvertraut worden ist: die Jugendlichen. Es wird die Zielsetzung seiner apostolischen Aktion aufzeigt: sie mit Hilfe von Erziehung in ihrem Wachstum als Personen zu fördern. Es wird die Erziehungsmethode angeboten, die sich als wirksam erweisen sollte: das Präventivsystem. Es wird der Horizont vorgestellt, innerhalb dessen sich all sein und unser Handeln bewegt: der wunderbare Heilsplan Gottes, der vor allen und mehr als alles andere die Jugendlichen liebt“.[3] So schrieb der ehemalige Generalobere Don Pascual Chávez Villanueva am Schluss des Kommentars zum Jahresleitgedanken 2012, den er der Don-Bosco-Familie für das erste Jahr der dreijährigen Vorbereitung auf den 200. Geburtstag Don Boscos (2015) übergab.

Dieser Text fasst sehr gut das Wesen dessen zusammen, was der Traum mit neun Jahren in seiner Einfachheit und Prophetie, in seinem charismatischen und erzieherischen Wert darstellt. Es ist ein vielsagender Traum, den wir im Laufe dieses Jahres dem Herzen und dem Leben der ganzen Familie Don Boscos noch näherbringen wollen. Es ist ein Traum, eine „sehr berühmte Traumvision, die ein wichtiger Pfeiler, quasi ein Gründungsmythos in der Vorstellung der Don-Bosco-Familie wurde und immer noch ist“.[4] Gewiss muss dieser Traum mit kritischer Aufmerksamkeit in seinem Kontext betrachtet werden – was schon Don Bosco selbst tat und was unsere Experten der salesianischen Geschichte getan haben –, um eine aktuelle, lebendige und existentielle Lesart und Deutung zu bieten. Zweifelsohne ist es ein Traum, den Don Bosco sein ganzes Leben lang im Gedächtnis und im Herzen bewahrte, wie er selbst festgestellt hat: „In diesem Alter hatte ich einen Traum, der mir mein ganzes Leben lang tief in Erinnerung blieb“.[5] Es handelt sich also um einen Traum, der in ihm und auf dem ganzen Weg der salesianischen Kongregation bis heute gegenwärtig geblieben ist und der zweifelsohne unsere gesamte Don-Bosco-Familie erreicht.

Bei Don Rinaldi lesen wir anlässlich des hundertsten Jahrestages des Traums: „Sein Inhalt ist nämlich von solcher Bedeutung, dass wir es uns anlässlich dieses hundertsten Jahrestages unbedingt zur Aufgabe machen müssen, ihn in allen Einzelheiten durch eine eifrigere Betrachtung zu vertiefen und seine Lehren großherzig umzusetzen, wenn wir den Namen wahrer Söhne Don Boscos und vollkommener Salesianer verdienen wollen“.[6] Wir leben gerade intensiv das außergewöhnliche Ereignis dieser zweiten Hundertjahrfeier, die zweifelsohne in der ganzen salesianischen Welt zu vielen Veranstaltungen führen wird. Lasst uns dies alles in einem sehr festlichen, freudigen und auch tiefgründigen Moment bei der hoffungsvollen Revision unseres Lebens zum Ausdruck bringen, indem wir den jungen Menschen mutige Vorschläge machen, um sie dabei zu unterstützen, „groß“ zu träumen, in der Gewissheit der Gegenwart Jesu Christi und „Hand in Hand“ mit der Lehrmeisterin, unserer Mutter und Herrin.

1. „ICH HATTE EINEN TRAUM …“: EINEN GANZ BESONDEREN TRAUM

Vor zweihundert Jahren hatte Johannes Bosco einen Traum, der ihn sein ganzes Leben lang „prägte“; ein Traum, der in ihm eine unauslöschliche Spur hinterließ und dessen Bedeutung Don Bosco erst am Ende seines Lebens vollständig begriff. Hier folgt nun der von Don Bosco selbst erzählte Traum nach der kritischen Edition von Antonio da Silva Ferreira, der wir bis auf zwei kleine Varianten folgen.[7]

[Rahmenhandlung] In diesem Alter hatte ich einen Traum, der mir mein ganzes Leben lang tief in Erinnerung blieb.

[Vision der Jungen und Johannes‘ Eingreifen] Im Traum schien es mir, als sei ich in der Nähe unseres Hauses auf einem recht weiträumigen Platz, auf dem eine Menge Jungen beisammen waren, welche sich die Zeit vertrieben. Einige lachten, andere spielten, nicht wenige fluchten. Als ich das Fluchen hörte, stürzte ich mich sofort mitten unter sie, um sie mit Faustschlägen und Geschrei zum Schweigen zu bringen.

[Erscheinung des ehrfurchtgebietenden Mannes] In diesem Moment erschien ein ehrfurchtgebietender Mann im besten Alter und vornehm gekleidet. Ein weißer Mantel bedeckte seine ganze Gestalt; aber sein Gesicht war derart leuchtend, daß ich ihn nicht schauen konnte. Er rief mich beim Namen, trug mir auf, mich an die Spitze der Jungen zu stellen und sagte: „Nicht mit Schlägen, sondern mit Milde und Liebe sollst du sie zu Freunden gewinnen. Mach dich also gleich daran, sie über die Häßlichkeit der Sünde und über die Kostbarkeit der Tugend zu belehren.“ Verwirrt und verängstigt erwiderte ich, ich sei ein armes und unwissendes Kind, unfähig, zu diesen Jungen von Religion zu sprechen. In diesem Augenblick hörten diese auf zu lachen, zu schreien und zu fluchen, und alle versammelten sich um den Sprecher.

[Gespräch über die Identität der Person] Fast ohne zu wissen, was ich sagte, fügte ich hinzu „Wer seid Ihr, daß Ihr mir Unmögliches auftragt?“ „Weil dir derartige Dinge jetzt unmöglich scheinen, mußt du sie mit Gehorsam und mit dem Erwerb von Wissen möglich machen.“ „Wo, mit welchen Mitteln werde ich das Wissen erwerben können?“ „Ich werde dir die Lehrerin geben, unter deren Anleitung du klug werden kannst, und ohne die jedes Wissen töricht wird.“ „Aber wer seid Ihr, daß Ihr auf diese Weise sprecht?“ „Ich bin der Sohn derjenigen, die deine Mutter dich dreimal täglich zu grüßen gelehrt hat.“ „Meine Mutter sagt mir, ich soll nicht ohne ihre Erlaubnis mit Unbekannten zusammen sein; sagt mir deshalb Euren Namen.“ „Meinen Namen erfrage von Meiner Mutter.“

[Erscheinung der Frau von majestätischem Anblick] In dem Augenblick sah ich neben ihm eine Frau von majestätischer Erscheinung, in einen Mantel gekleidet, der überall leuchtete, als sei jeder Teil davon ein heller Stern. Sie merkte, daß ich in meinen Fragen und Antworten immer mehr durcheinanderkam und bedeutete mir, mich Ihr zu nähern. Voller Güte nahm sie mich bei der Hand und sagte „Schau“. Ich blickte um mich und bemerkte, daß alle diese Jungen verschwunden waren, und an ihrer Stelle sah ich eine Menge Ziegen, Hunde, Katzen, Bären und verschiedene andere Tiere. „Hier ist dein Feld, auf dem du arbeiten sollst. Werde demütig, stark, widerstandsfähig; und was du jetzt mit diesen Tieren geschehen siehst, das sollst du für meine Kinder tun.“ Ich schaute nun um mich und siehe da, an Stelle der wilden Tiere erschienen lauter zahme Lämmer, die alle springend und blökend umherliefen, als ob sie diesen Mann und diese Frau feiern wollten. Immer noch im Traum fing ich an zu weinen und bat ihn, doch in verständlicher Weise sprechen zu wollen, weil ich nicht wußte, was das bedeuten sollte. Da legte mir die Frau die Hand auf den Kopf und sagte zu mir: „Zur rechten Zeit wirst du alles verstehen”.

[Abschließende Rahmenhandlung] Als sie das gesagt hatte, weckte mich ein Geräusch auf [und alles war verschwunden][8]. Ich war verwirrt. Mir schien, als täten meine Hände von den ausgeteilten Schlägen noch weh, und mein Gesicht schmerzte von den Ohrfeigen, die ich erhalten hatte; dazu beschäftigten mich diese Persönlichkeit, diese Frau, das Gesagte und das Gehörte dermaßen, daß es mir in dieser Nacht nicht mehr möglich war, Schlaf zu finden. Am Morgen erzählte ich den Traum sofort, zuerst meinen Brüdern, die darüber lachten, dann meiner Mutter und der Großmutter. Jeder gab dazu seine Deutung. Mein Bruder Giuseppe sagte: Du wirst ein Hirte von Ziegen, Schafen oder anderen Tieren. Meine Mutter: Wer weiß, ob er nicht Priester wird. Antonio meinte ganz trocken: Vielleicht wirst du Räuberhauptmann. Aber meine Großmutter, die zwar genug Ahnung hatte in Glaubensdingen, aber nicht lesen und schreiben konnte, sprach das Schlußwort: Um Träume muß man sich nicht kümmern. Ich war der Ansicht meiner Großmutter, aber trotzdem war es mir nie möglich, diesen Traum aus meinem Gedächtnis zu löschen. Die Dinge, die ich nun im Folgenden darlege, werden einiges davon erklären. Ich habe immer über all das geschwiegen; auch meine Verwandten machten davon keinen Gebrauch. Als ich aber 1858 nach Rom ging, um mit dem Papst über die Salesianische Kongregation zu verhandeln, ließ er sich genauestens alles erzählen, was auch nur den Anschein des Übernatürlichen hätte. Da habe ich zum ersten Male von dem Traum mit neun oder zehn Jahren erzählt. Der Papst trug mir auf, ihn wörtlich und genau niederzuschreiben und ihn zur Ermutigung den Söhnen der Kongregation, welche der Zweck dieser Reise nach Rom war, zu hinterlassen.

Derselbe Traum wiederholt sich mehrmals in Don Boscos Leben. Don Bosco selbst, der uns eigenhändig in seinen Erinnerungen dieses erste Auftreten, dessen zweihundertsten Jahrestag wir feiern, erzählt hat, berichtet auch bei mehreren Gelegenheiten, was er im Abstand von vielen Jahren erneut träumt. Der Traum mit neun Jahren ist nämlich kein Einzelfall, sondern gehört zu einer langen, sich ergänzenden Folge von Träumen, die das Leben Don Boscos begleitet haben. Er selbst verbindet drei grundlegende Träume miteinander: den Traum von 1824 (in Becchi), den Traum von 1844 (im kirchlichen Konvikt) und den von 1845 (im Werk der Gräfin Barolo), in denen sich sowohl gleichbleibende als auch neue Elemente finden. In dem Traum lassen sich wie eine Art Wasserzeichen immer die erste Rahmenhandlung und die Szene auf der Wiese in Becchi erkennen, aber mit neuen Einzelheiten, Reaktionen und Botschaften, die dem Lebensalter des nun nicht mehr neunjährigen Johannes, sondern dem Don Boscos bei der vollen Entfaltung seiner Sendung entsprechen.

Viele Jahre später im Jahr 1875 erzählte der nun sechzigjährige Don Bosco bei einer anderen Gelegenheit Don Barberis seinen Traum. In der Zwischenzeit hatte Don Bosco der Gründung der salesianischen Kongregation (18. Dezember 1859), der Maria-Hilf-Erzbruderschaft (18. April 1869), des Instituts der Töchter Mariä, der Helferin der Christen (5. August 1872) und der Frommen Gesellschaft der salesianischen Mitarbeiter – laut dem ihr von Don Bosco gegebenen, ursprünglichen Namen –, die am 9. Mai 1876 bestätigt wurde, beigewohnt.

Als er diesen Traum das letzte Mal hat, ist Don Bosco, wie ich schon sagte, ein reifer Mann: Er hat vieles erlebt, er hat sich zahlreichen Schwierigkeiten gestellt und diese überwunden, er hat persönlich feststellen können, was die Gnade und die Liebe der Jungfrau Maria in seinen Jungen bewirkt haben; er hat viele Wunder der Vorsehung gesehen und nicht wenig gelitten. „‚Eines Tages wirst du alles verstehen‘ war ihm im ersten Traum prophezeit worden. Im Jahr 1887 bei der Weihemesse der Kirche Sacro Cuore in Rom hörte er jene Stimme in seinem Kopf widerhallen und weinte vor Freude, er weinte, während er die bewundernswerten Folgen seines nicht zu entmutigenden Glaubens betrachtete“.[9]

2. EIN TRAUM, AUF DEN ALLE GENERALOBEREN BEZUG GENOMMEN HABEN

Besonders beeindruckt bin ich von der Tatsache, dass alle Generaloberen bis auf Don Rua, von dem ich kein Zitat finden konnte, auf den Traum Bezug genommen haben, auf diesen Traum Don Boscos, der unsere Kongregation und die Don-Bosco-Familie geprägt hat. Ich nutze hier eine großartige Forschungsarbeit von Herrn Marco Bay.[10]

Don Paolo Albera, der zweite Nachfolger Don Boscos, bezieht sich auf das Oratorium von Valdocco als Don Boscos erstes und für viele Jahre einziges Oratorium und spricht von dem geheimnisvollen Traum, in dem die Vorsehung ihm die Sendung anvertraute:

„Das erste, für viele Jahre einzige Oratorium Don Boscos war das Sonn- und Feiertagsoratorium, sein Sonntagsoratorium, welches er bereits in dem geheimnisvollen Traum mit neun Jahren erblickte wie auch in den folgenden, die ihm nach und nach das ihm anvertraute Werk der Vorsehung vor Augen führten“.[11]

Don Philipp Rinaldi, der dritte Nachfolger Don Boscos, darf den hundertsten Jahrestag des Traumes erleben und bemüht sich, dass die ganze Kongregation von der Gnade durchdrungen wird, dieses Ereignis zu erleben. Er schreibt zur Ermutigung:

„In meinem Rundbrief zum Jubiläum unserer Kongregation habe ich bereits, liebe Söhne, auf den hundertsten Jahrestag des ersten Traums von Don Bosco hingewiesen und Euch eingeladen, diesen Traum zu betrachten und ihn umzusetzen […]. Lasst uns gemeinsam, meine Lieben, die von unserem verehrungswürdigen Vater zu unserer Unterweisung im Gehorsam gegenüber dem Stellvertreter Jesu Christi niedergeschriebene Seite erneut lesen; ja, lasst sie uns mit großer Verehrung lesen und sie Wort für Wort in unserem Gedächtnis verankern, diese Seite, die uns den übernatürlichen Ursprung, die innere Natur und die spezifische Form unserer Berufung beschreibt. Je mehr man sie liest, umso mehr erscheint sie neu und lichtreich“.[12]

In demselben Schreiben lässt er die Mitbrüder wissen, dass, so wie Don Bosco in seinem Traum mit neun Jahren zu einer Sendung berufen wurde, auch wir unter der Führung der Jungfrau berufen sind, mit der wohlwollenden Führung der Jungfrau selbst, die uns an der Hand nimmt, uns unser Betätigungsfeld zeigt und uns auf tausend Arten anregt, die Gaben der Demut, der Kraft und der Gesundheit zu erwerben. Wir verstehen sehr gut, dass die entschiedene Aufforderung, stark, demütig und widerstandsfähig zu sein, auch für uns gilt. Eine Aufforderung, die die Dame aus dem Traum dem kleinen Johannes Bosco übermittelte.

„Auch wir haben den Auftrag erhalten, uns die notwendigen Mittel anzueignen, um diese Methode in die Praxis umzusetzen, nämlich Gehorsam und Wissen, unter der Führung der Jungfrau. Das haben wir in den Jahren unserer religiösen und priesterlichen Ausbildung getan (oder tun es noch). Während all dieser glücklichen Jahre nahm auch uns die Heilige Jungfrau gütig an der Hand und zeigte uns unser künftiges Betätigungsfeld, sie ermunterte uns auf jede Weise zur Erlangung von Demut, Stärke und Gesundheit, den Eigenschaften, die für jeden wahren Sohn Don Boscos unbedingt notwendig sind. Auch wir werden schließlich sehen, wie Scharen von jungen Menschen, die zuvor völlig unwissend über die Dinge Gottes waren und vielleicht schon unglückliche Opfer des Bösen, erleuchtet, geheilt und freudig Jesus und Maria, die Helferin der Christen, feiern“.[13]

Beinahe als eine Ermutigung, diesen zweihundertsten Jahrestag groß und bedeutsam zu feiern, zitiere ich aus der Zeitschrift Bollettino Salesiano zu der Zeit von Don Rinaldi, der von der Feier in Rom erzählt, bei der er selbst anwesend war:

„Für einen Traum – schrieb der Corriere d‘Italia am vergangenen 2. Mai –, für die ideale Schönheit eines Traums – fanden sich gestern im geräumigen Hof des Don-Bosco-Werks in Rom Kardinal Cagliero, der verehrungswürdige Missionar, Don Rinaldi, der Nachfolger Don Boscos, und Pietro Fedele, der Minister für Bildung, inmitten einer Schar tausender sehnsüchtig wartender und applaudierender Menschen wieder, um dem unvergleichlichen Lehrmeister, der in der leuchtenden Demut des Glaubens den strahlenden Pfaden jenes erhabenen Traums gefolgt war, die gerührte Huldigung aller Kräfte des Geistes zu erweisen […]. Eine lebendige Krone von jungen Menschen, Jungen und Mädchen, von Ehemaligen Don Boscos; eine große Schar an Menschen jeden Standes – Berufstätige, Lehrer, Soldaten, Priester – alle im Namen des gütigen Lehrmeisters versammelt“.

„Vor hundert Jahren [ebenso ein Heiliges Jahr, warum nicht daran erinnern?] träumte der junge Don Bosco einen süßen und geheimnisvollen Traum. Er sah zuerst eine Gruppe Straßenjungen, die sich fluchend untereinander stritten; er versuchte sie mit dem Stock zur Ordnung zu rufen; dann sah er eine Dame und einen Herrn, die ihn zu einer anderen Gruppe führten, dieses Mal eine Gruppe Tiere, Hunde und Katzen, die kläffend und miauend auch miteinander stritten, sich jedoch auf ein geheimnisvolles Zeichen der Beiden hin in eine Herde friedlicher Lämmer verwandelten“.

„Nach hundert Jahren ist dieser Traum Realität, eine strahlende, pulsierende, großartige Realität; er ist eine fantastische Geschichte, die bereits das Schicksal von Millionen Menschen beeinflusst, in Schulen, in den Missionen, im Leben, im Gebet, in der Hoffnung; all die Geschöpfe, die Don Bosco gegrüßt haben und grüßen, den größten und heiligsten Lehrmeister des Lebens, den die Kirche und Italien der Welt in unserem Jahrhundert geschenkt haben“.[14]

Don Pietro Ricaldone, der vierte Nachfolger Don Boscos, sah den Keim des Sonn- und Feiertagsoratoriums und des gesamten salesianischen Werkes in dem Traum, den der kleine Johannes mit neun Jahren hatte. Don Ricaldone erwähnt, dass viele weitere Etappen folgen, viele Stationen einer Wanderschaft, bevor er im Pinardi-Schuppen in seinem Zuhause ankommt.

„Es besteht kein Zweifel, dass der erste Keim des Sonn- und Feiertagsoratoriums und des ganzen salesianischen Werkes, wie ich gerade sagte, auf den schicksalhaften Traum zurückgeht, den Johannes im Alter von neun Jahren hatte. Schon damals sagte die Dame von majestätischer Erscheinung zu dem Hirtenjungen aus Becchi: „Siehe dein Feld; werde demütig, stark, widerstandsfähig; und was du jetzt mit diesen Tieren geschehen siehst, das sollst du für meine Kinder tun.“

Becchi, Moncucco, Castelnuovo, Chieri sind weitere Etappen: Aber der kleine Johannes Bosco ist gerade erst auf seinem Weg; er geht auf ein höheres Ziel zu. Der 8. Dezember 1841 ist mehr noch als ein Ziel ein weiterer Ausgangspunkt. Bevor er zum Pinardi-Schuppen in Valdocco, seinem verheißenen Land, gelangt, muss er neue Wanderungen unternehmen. Um zum ersten Bild zurückzukehren: Das zarte Pflänzchen hat endlich seinen eigenen Boden gefunden; von nun an werden wir sehen, wie es über alle menschliche Erwartung hinaus groß und kräftig wird“.[15]

Don Ricaldone glaubt sogar, dass auch die Liebe und der Eifer Don Boscos für die Berufungen ihren Ursprung im Traum mit neun Jahren haben:

„Don Boscos Liebe und sein Eifer für Berufungen haben ihren ersten Ursprung in dem schicksalhaften Traum, den er im Alter von neun Jahren hatte und der sich über einen Zeitraum von fast zwanzig Jahren auf verschiedene, im Wesentlichen gleichförmige Weise wiederholte […]. Nach diesem Traum wuchs nämlich in dem kleinen Johannes der Wunsch zu studieren, um Priester zu werden und sich dem Heil der Jugend zu widmen“.[16]

Don Renato Ziggiotti, der fünfte Nachfolger Don Boscos, hebt besonders das große Geschenk hervor, das die Lehrmeisterin für Don Bosco war. Tatsächlich ist es der Herr, der dem jungen Johannes das Geschenk seiner eigenen Mutter, vor allem als Führerin, macht. Don Ziggiotti schreibt dazu:

„‚Ich werde dir die Lehrerin geben, unter deren Anleitung du klug werden kannst, und ohne die jedes Wissen töricht wird‘ lauten die schicksalhaften Worte des ersten Traums, die von der geheimnisvollen Person ausgesprochen werden, dem ‚Sohn derjenigen, die deine Mutter dich dreimal täglich zu grüßen gelehrt hat‘. Es ist also Jesus, der Don Bosco seine Mutter als Lehrmeisterin und unfehlbare Führerin auf dem harten Weg seines ganzen Lebens gibt. Wie kann man für dieses außergewöhnliche Geschenk ausreichend danken, das der Himmel unserer Familie gemacht hat?“[17]

Und sie, die Mutter, die Muttergottes, die Dame aus dem Traum wird für Don Bosco alles sein. Diese Gewissheit war bei Don Ziggiotti sehr stark und allumfassend, und sie ist das, was er von jedem Salesianer verlangte:

„Die Muttergottes, der er bei seiner Geburt von seiner Mutter geweiht wurde, die ihm im Traum mit neun Jahren die Zukunft erleuchtete und dann zurückkehrte, um ihn zu trösten und zu beraten, in tausend Formen, in Träumen, im prophetischen Geist, in der inneren Schau des Zustands der Seelen, in den unzähligen Wundern und Gnaden, die er durch ihre Anrufung erwirkte; die Muttergottes ist alles für Don Bosco; und der Salesianer, der den Geist des Gründers erwerben will, muss ihn in dieser Verehrung nachahmen“.[18]

Don Luigi Ricceri, der sechste Nachfolger Don Boscos, hat wunderbare Ausdrücke zur Bedeutung des Traums mit neun Jahren gefunden. Don Ricceri betont, wie wichtig dieser Traum für Don Bosco war, sodass er sich für immer in sein Herz und seinen Verstand eingeprägt hat, und wie er sich dadurch von Gott berufen fühlte:

Der Traum mit neun Jahren. Das ist der Traum – so schreibt Don Bosco in seinen Erinnerungen –, der mir mein ganzes Leben lang tief in Erinnerung blieb“ (EO, S. 46).

Der unauslöschliche Eindruck dieser Traumvision ist der Tatsache geschuldet, dass sie wie ein plötzliches Licht war, das den Sinn seines jungen Lebens klärte und ihm den Weg aufzeigte. Don Bosco fühlte sich wie der kleine Samuel berufen und von Gott mit einem Auftrag gesandt: die Rettung der jungen Menschen an allen Orten und zu allen Zeiten; die jungen Menschen aus christlichen Ländern und die ‚Mehrzahl‘ derjenigen, die in nicht-christlichen Regionen noch in der Erwartung der Ankunft des Herrn leben“.[19]

Don Ricceri erzählt, dass dies der Traum sei, in dem Don Bosco, der aufgrund seines jungen Alters noch keine vollkommene Klarheit hat, den großen Wert erkennt, für die Rettung der Seelen zu leben, und diese Überzeugung nimmt in seinem Leben, in seinem Verstand, in seinem Geist immer mehr Gestalt an als ein Geschenk der Gnade. Durch dieses entscheidende Ereignis in seinem Leben hatte Don Bosco die erste große Ahnung davon, wie das zukünftige Präventivsystem aussehen würde. „Nicht mit Schlägen, sondern mit Liebe sollst du sie zu Freunden gewinnen“, beschrieb Don Bosco in der Schilderung des Ereignisses, was er von der Dame hörte. Sodass man für die Zukunft von einer kostbaren Beziehung zwischen Don Bosco und der Mutter des Herrn sprechen kann. Don Ricceri drückt das in großartigen Worten aus:

„Nach diesem Traum entwickelte sich zwischen Don Bosco und der Mutter Jesu eine Zweierbeziehung, eine ständige Zusammenarbeit, die das Leben des zukünftigen Apostels prägte“.[20]

Don Egidio Viganò, der siebte Nachfolger Don Boscos, bietet uns weitere, nicht weniger anregende Überlegungen an. Ich freue mich über diese großartige Kontinuität aller Generaloberen beim Lesen, Meditieren und Interpretieren des Traums par excellence, aus dem sie auch für die jeweilige Gegenwart nützliche Erkenntnisse ziehen. Don Viganò bestätigt wie andere Nachfolger Don Boscos vor ihm, dass Maria die wahre Inspiratorin, Lehrmeisterin und Führerin der Berufung unseres Vaters Johannes Bosco ist.

„Es scheint mir besonders interessant zu sein, darauf aufmerksam zu machen, daß sich in seinem gläubigen Bewußtsein schon im Alter von 9 Jahren Maria in dem berühmten Traum (der sich mehrmals wiederholen sollte und den Don Bosco für sein Leben besonders einschneidend hielt) als eine Person zeigte, die direkt für den Sendungsplan in seinem Leben von großer Bedeutung war; es ist eine Frau, die besondere ‚pastorale‘ Sorge für die Jugend zeigt; sie stellte sich ihm ja ‚als Hirtin‘ vor. Wir bemerken hier sofort, daß es nicht der kleine Giovanni ist, der sich für Maria entschied, sondern daß es in erster Linie Maria ist, die die Initiative der Entscheidung ergreift. Sie wird auf Bitten ihres Sohnes Inspiratorin und Führerin seiner Berufung“.[21]

Dank dieser wunderbaren Erfahrung konnte Johannes eine sehr persönliche Beziehung zu Maria – der Dame aus dem Traum – aufbauen. Deswegen wird Don Bosco sein ganzes Leben lang bei verschiedenen Gelegenheiten die ganz besondere und große Zuneigung Mariens erfahren. Es handelt sich wirklich um eine außergewöhnliche Beziehung zur Jungfrau Maria.

Auch Don Juan Edmundo Vecchi, der achte Nachfolger Don Boscos, stellt fest, dass Don Bosco in seiner Überzeugung, zu den jungen Menschen gesandt zu sein, alles auf dieses eine heilige Ziel, die jungen Menschen, konzentrieren und er ihnen seine ganze Energie widmen musste. Das ist der rote Faden, den Don Bosco seinem Leben in den Erinnerungen an das Oratorium vom ersten Traum ausgehend gibt: „Der Herr hat mich für die jungen Menschen gesandt, deswegen muss ich mich bei anderen nicht dazugehörigen Dingen schonen und meine Gesundheit für sie bewahren“.[22] Dabei war er immer überzeugt, ein Werkzeug des Herrn zu sein und dass sein ganzes Leben durch diesen Ruf und die Sendung mitten unter den Jugendlichen geprägt war. Das bestätigt auch ein anderer großer Kenner Don Boscos: „Der Glaube, ein Instrument des Herrn für eine einzigartige Sendung zu sein, war bei ihm tief und unerschütterlich. Darauf gründete in ihm die religiöse Haltung des biblischen Dieners, des Propheten, der sich dem göttlichen Willen nicht entziehen kann“.[23]

Schließlich gibt es bei Don Pascual Chávez, dem neunten Nachfolger Don Boscos, unter einer großen Anzahl an Texten einen, der mich besonders bewegt. Es ist eine Hymne an die mütterliche Gestalt von Mama Margareta, die es mit der Gnade Gottes verstand, den kleinen Johannes zu begleiten, indem sie ahnte und deutete, wie der Herr und die Jungfrau Maria ihren Sohn in seinem Traum mit neun Jahren zu einer ganz besonderen Berufung riefen. Don Pascual bestätigt, dass man von Mama Margareta als einer echten „salesianischen“ Erzieherin sprechen kann.

„Diese erzieherische Kunst war es, die es Mama Margareta erlaubte, die verborgenen Kräfte in ihren Söhnen zu entdecken, sie ans Licht zu fördern, sie zu entfalten und sie sozusagen sichtbar in ihre Hände zu legen. Das gilt besonders im Hinblick auf ihre reichste Frucht: Giovanni. Wie beeindruckend ist es, in Mama Margareta diesen bewussten und klaren Sinn ‚mütterlicher Verantwortung‘ vorzufinden, mit der sie den eigenen Sohn aus nächster Nähe christlich begleitet hat. Dennoch ließ sie ihm seine Selbständigkeit in Bezug auf die Berufung; begleitete ihn aber ununterbrochen in allen Phasen seines Lebens bis zu ihrem Tod!

Der Traum, den der kleine Giovanni mit neun Jahren hatte, war eine Offenbarung für ihn, aber sicher auch (wenn nicht schon früher) für Mama Margareta. Sie war es, die die Interpretation bereithatte und darlegte: ‚Wer weiß, ob du nicht Priester werden sollst!‘ Einige Jahre später, als sie verstand, dass das Klima im Hause wegen der Feindseligkeit des Stiefbruders Antonio auf Giovanni negativ wirkte, brachte sie das Opfer, ihn als Bauernjungen auf den Hof Moglia in der Nähe von Moncucco zu schicken. Eine Mutter, die auf ihren jüngsten Sohn verzichtet, um ihn zum Arbeiten aufs Land, weit von zu Hause weg, zu schicken, bringt ein echtes Opfer. Aber sie tat es nicht nur, um eine familiäre Zwietracht auszuschalten, sondern um Giovanni auf jenen Weg zu lenken, den ihm (und ihr) der Traum offenbart hatte […]. Die göttliche Vorsehung schenkte ihr die Gnade, eine von einer zuvorkommenden Liebe beseelte ‚salesianische‘ Erzieherin zu sein“.[24]

3. DER PROPHETISCHE TRAUM: ein kostbares Kleinod des Charismas der Don-Bosco-Familie

Im vorhergehenden Abschnitt haben wir gesehen, wie Don Philipp Rinaldi die Mitbrüder einlud, den Traum zu lesen, um ihn zu vertiefen, zu verinnerlichen und sein Echo im Herzen zu spüren. Sicherlich lud er in diesem Augenblick auch die Don-Bosco-Schwestern, die Salesianischen Mitarbeiter Don Boscos, die Angehörigen der ADMA und ich denke auch die Ehemaligen ein. Daran zweifle ich nicht. Ganz gewiss erkennen alle Schriften – seien es geschichtliche Forschungen, historisch-kritische Untersuchungen, Reflexionen über die salesianische Spiritualität oder erzieherisch-pastorale Interpretationen – einstimmig an, dass dieser Traum sehr viel mehr als ein einfacher Traum ist. Er enthält nämlich so viele charismatische Elemente, dass ich es wagen möchte, ihn als ein kostbares Kleinod unseres Charismas und als eine eigene „Road Map“ für die Don-Bosco-Familie zu bezeichnen.

Man könnte wirklich sagen, dass bei ihm nichts fehlt und nichts überflüssig ist. Das möchte ich nun erörtern.

3.1.       Betrachtung des Traums

Wohin sollen wir in diesem Moment schauen? Zunächst auf den Traum selbst, der nämlich einen überraschenden charismatischen Reichtum enthält. Wie ich bereits gesagt habe, gibt es kein Wort zu viel und es fehlt gewiss auch keines. Die Bemühungen Don Boscos sind mehr als offensichtlich, uns beim Aufschreiben des Traums zu vermitteln, dass es sich nicht nur um „einen“ Traum handelt, sondern dass wir ihn als „den“ Traum sehen müssen, der sein ganzes Leben prägen sollte – auch wenn er sich das als Kind noch nicht vorstellen konnte. In der Tat „musste Don Bosco sich als beinahe Sechzigjähriger – er fühlte sich nun alt und er war es auch für seine Zeit – dem Problem stellen, seiner Kongregation durch die Erinnerung an die von der Vorsehung bestimmten, sie rechtfertigenden Ursprünge ein historisch-spirituelles Fundament zu geben. Was gab es Besseres, als seinen Söhnen zu ‚erzählen‘, dass die Wiege der ‚Kongregation der Oratorien‘ in ihrer Entstehung, Entwicklung, Zielsetzung und Methode eine von Gott als Mittel zur Rettung der Jugend in den neuen Zeiten gewollte Institution war?“[25] In der Tat sind nämlich die Erinnerungen an das Oratorium, in denen Don Bosco seinen Traum erzählt, nichts anderes als der Traum, der sich in seiner Lebensgeschichte, im Oratorium und in der Kongregation entfaltet. Daher schreibt Don Bosco auch in der Einführung zu seinem Manuskript:

Ich „mache […] mich daran, die vertraulichen Dinge genau niederzulegen. Sie könnten so dieser Einrichtung, die die Göttliche Vorsehung der Gesellschaft des hl. Franz von Sales anvertraut hat, als Licht dienen oder ihr zum Nutzen werden“ (EO, S. 40). Und „[w]ozu also kann diese Arbeit gut sein? Indem sie aus der Vergangenheit Lehre zieht, wird sie als Norm bei der Überwindung der zukünftigen Schwierigkeiten dienen. Sie wird zum Verständnis dafür beitragen, wie Gott selbst alles und zu jeder Zeit geführt hat. Meinen Söhnen wird sie als vergnügliche Unterhaltung dienen, wenn sie über das lesen können, was ihr Vater erlebt hat, und sie werden darin umso lieber lesen, wenn ich, zu Gott gerufen, um Rechenschaft über mein Handeln abzulegen, nicht mehr bei ihnen sein werde“ (EO, S. 41).

Die Erzählung der Erinnerungen an das Oratorium (und des Traums mit neun Jahren, der dazugehört) war so wichtig, dass bedeutende salesianische Experten sie ein Leben lang untersuchten und im Lauf der Jahre verschiedene Perspektiven entwickelten. Ein reiches, bemerkenswertes Beispiel dafür sind zum Beispiel die verschiedenen Akzente, die Don Pietro Braido, der große Erforscher der salesianischen Pädagogik, über mehrere Jahrzehnte hinweg gesetzt hat. Es handle sich um „eine erbauliche Geschichte, die ein Gründer den Mitgliedern seiner Gesellschaft von Aposteln und Erziehern hinterlassen hat, welche sein Werk und seinen Stil fortführen sollten, indem sie den darin [= im Text] enthaltenen Weisungen, Orientierungen und Lektionen folgen“ (1965); oder um „eine eher ‚theologische‘ und pädagogische als eine reale Geschichte des Oratoriums, vielleicht das ‚Theorie‘-Dokument zur Animation, das Don Bosco am längsten meditiert und gewollt hat“ (1989); „vielleicht das inhaltlich reichhaltigste Buch mit Orientierungen zur Prävention“, das Don Bosco geschrieben hat: „ein Handbuch der Pädagogik und Spiritualität, das in einer deutlich oratorianischen Perspektive ‚erzählt‘ wird“ (1999); oder auch eine Schrift, in der die „Parabel und die Botschaft“ vor und „über der Geschichte“ stehen, um Gottes Handeln in den menschlichen Ereignissen zu zeigen und so zu erfreuen und neu zu erschaffen, um „die Jünger zu trösten und zu bestätigen“ in einer deutlich „oratorianischen“ Perspektive (1999).[26]

Einer der kostbaren Steine dieses Kleinodes, auf den ich mich beziehe, erlaubt es uns, die wir mit einem salesianischen Herzen in den Traum eintreten, was auch immer unser christlich-salesianischer Weg oder unser Weg in der Don-Bosco-Familie sein mag, uns in unserem Herzen zu fragen: Sind wir bereit zu lernen, sind wir bereit, uns von Gott, der unser Leben so begleitet, wie er das Leben Don Boscos geführt hat, überraschen zu lassen und uns als Söhne und Töchter vor dieser unermesslichen Vaterschaft zu fühlen, die von der Persönlichkeit unseres Vaters ausgeht? Denn:

– Wenn wir nicht GLÄUBIG werden und nicht davon überzeugt sind, dass Gott in der Geschichte, in der Geschichte Don Boscos und in unserer persönlichen Geschichte handelt, werden wir wenig oder gar nichts von den Erinnerungen an das Oratorium und von dem Traum verstehen. All dies wird nur eine „schöne Geschichte“ sein.

– Wenn wir nicht SÖHNE oder TÖCHTER werden, wird es uns nicht gelingen, uns auf die Vaterschaft, die Don Bosco durch die Erinnerungen an das Oratorium vermitteln will, einzustellen.

– Wenn wir nicht JÜNGER werden, die bereit sind zu lernen, treten wir nicht wirklich in den Geist der Erinnerungen an das Oratorium und in den Traum ein.

Mir scheint, dass diese drei Ausgangsbestimmungen (Glaube, Kindschaft und Jüngerschaft) „wesentliche Schlüssel“ sind, um das, was Don Bosco erzählt und uns als geistiges Vermächtnis hinterlassen hat, zu verstehen und für uns selbst anzunehmen. Was sich in seinem Leben ereignet und ihn für immer geprägt und erleuchtet hat, wollte Don Bosco als ein Vermächtnis hinterlassen, das seinen Salesianern und uns allen, die wir uns durch die Gnade als Teil seiner Familie fühlen und es sind, zutiefst helfen möge.

3.2.      Die Jungen, Hauptdarsteller des Traums …

Ab dem ersten Moment des Traums wird die Johannes Bosco anvertraute, „oratorianische Sendung“ deutlich, auch wenn er nicht recht weiß, wie er sie ausführen oder ausdrücken soll. Wie wir sehen können, ist der Schauplatz voller Jungen; es sind Jungen, die im Traum des kleinen Johannes ganz real sind.

Deshalb kann man behaupten, dass die Jungen die zentralen Hauptdarsteller des Traums sind. Auch wenn sie kein Wort sagen, dreht sich alles um sie. Außerdem sind die „himmlischen“ Personen und Johannes Bosco dank ihnen und für sie da. Der ganze Traum gehört also ihnen und ist für sie: für die Jungen. Wenn wir die jungen Menschen aus diesem Traum ausschließen würden, bliebe nichts Bedeutendes mehr für unsere Sendung übrig.

Es ist jedoch interessant, dass sie nicht wie eine Fotografie sind, die ein Bild in einer Momentaufnahme festhält. Die Jungen sind in ständiger Bewegung und Aktion: sowohl wenn sie aggressiv (wie Wölfe) sind und sie sich nicht ertragen können, als auch wenn sie sich so verwandeln, wie es die Dame des Traums von Johannes verlangt, und zu gelassenen, freundlichen und herzlichen Jungen (wie Lämmer) werden. Das Wichtigste, was in dem Traum geschieht und was Don Bosco selbst und später auch seine Anhänger lernen, ist die Erkenntnis, dass der Verwandlungsprozess immer möglich ist. Es ist eine – erlaubt mir den Ausdruck – „österliche“ Bewegung der Bekehrung und der Verwandlung, von Wölfen in Lämmer und von Lämmern in eine – wie wir heute sagen würden – Gemeinschaft junger Leute, die Jesus und Maria feiert. Das scheint mir ein wesentliches und zentrales Element des Traums zu sein.

3.3.       … wo es eine klare Berufung gibt

„Hier ist dein Feld […]. Werde demütig, stark, widerstandsfähig; und was du jetzt mit diesen Tieren geschehen siehst, das sollst du für meine Kinder tun“ (EO, S. 47). Was im Traum passiert, ist vor allem ein Ruf, eine Einladung, eine Berufung, die unmöglich, unerreichbar scheint. Der kleine Johannes Bosco wacht müde auf, er hat sogar geweint. Wenn der Ruf von Gott kommt (die Person von majestätischer Erscheinung im Traum ist Jesus), so ist die Richtung, die ein solcher Ruf nehmen kann, unvorhersehbar und verwirrend.

Dieser Ruf ist im Traum etwas ganz Besonderes, er besitzt einen einzigartigen Reichtum. Ich sage das, weil es scheinen könnte, als ob für Johannes aufgrund seines Alters, seiner Vaterlosigkeit, des fast völligen Mangels an Mitteln, der Armut, der Probleme innerhalb der Familie, der Streitigkeiten mit seinem Halbbruder Antonio, des erschwerten Schulbesuchs aufgrund der Entfernung und der Notwendigkeit, auf den Feldern zu arbeiten, keine andere Möglichkeit besteht, als hier zu bleiben, um die Felder zu bestellen und die Tiere zu hüten. Auch uns mag der Traum unerreichbar und weit weg erscheinen, vielleicht für jemand anderen bestimmt, aber nicht für ihn. Die gleiche Auslegung des Traums geben auch die Verwandten des kleinen Johannes, wie die Worte seiner Großmutter bestätigen: „Um Träume muß man sich nicht kümmern“ (EO, S. 48).

Doch gerade diese schwierige Situation macht Don Bosco (zu dieser Zeit noch der kleine Johannes) sehr menschlich, hilfsbedürftig, aber auch stark und enthusiastisch. Seine Willensstärke, sein Charakter, sein Temperament, seine Seelenstärke und die Entschlossenheit seiner Mutter, Mama Margareta, sowie ein tiefer Glaube sowohl seitens seiner Mutter als auch bei Johannes selbst machen das alles möglich. Der Traum wird immer da sein, er wird ihn jedoch erst durch das Leben entdecken: Ich habe es verstanden, als nach und nach alles in Erfüllung ging … Es ist keine Magie, keine „Zauberei“, es gibt keine Prädestination, sondern ein Leben voller Bedeutung, Anforderungen, Opfer, aber auch voll Glaube und Hoffnung, die uns drängen, es zu entdecken und jeden Tag zu leben.

Im Traum erscheint ein ehrenwerter Mann im besten Alter, der mit Johannes spricht, ihn befragt und ihn in die Hände seiner Mutter, der Dame, legt. Das ist ganz sicher eine Aussendung. Eine erzieherisch-pastorale Sendung, für die auch eine Methode genannt wird: Milde und Liebe. Hier nun ein Beispiel seiner Berufungsantwort:

„Johannes, der von klein auf der göttlichen Eingebung treu war, begann in dem ihm von der Vorsehung zugewiesenen Bereich zu arbeiten. Mit noch nicht einmal zehn Jahren war er bereits ein Apostel unter seinen Landsleuten in der Ortschaft Murialdo. Ist nicht das, was der kleine Johannes mit den Mitteln, die zu seinem Alter und seiner Bildung passen, im Jahr 1825 beginnt, schon ein Sonn- und Feiertagsoratorium, wenn auch nur in Ansätzen, als Entwurf?

Er besaß ein erstaunliches Gedächtnis, war ein Liebhaber von Büchern und eifrig bei Predigten. Er machte sich alles, Belehrungen, Fakten, Beispiele zunutze, um sie seinen kleinen Zuhörern zu wiederholen, und flößte mit bewundernswerter Wirksamkeit die Liebe zur Tugend all jenen ein, die kamen, um seine Geschicklichkeit beim Spiel zu bewundern und seine kindlichen, aber warmherzigen Worte zu hören“.[27]

3.4.      Und sie, Maria, wird den Traum des kleinen Johannes und das Leben Don Boscos für immer prägen

Wir kommen nun zu dem zentralen Moment des Traums: die mütterliche Vermittlung der Dame (verbunden mit dem Geheimnis ihres Namens). Für Johannes Bosco sind seine Mutter und die Mutter desjenigen, die er dreimal täglich grüßt, ein Ort der Menschlichkeit, an dem er sich ausruhen kann, wo er Sicherheit und Schutz in den schwierigsten Situationen findet.

„Ich werde dir die Lehrerin geben, unter deren Anleitung du klug werden kannst, und ohne die jedes Wissen töricht wird“ (EO, S. 47). In der Tat zeigt sie ihm das Feld, auf dem er arbeiten soll, als auch die zu nutzende Methode: „Hier ist dein Feld, auf dem du arbeiten sollst. Werde demütig, stark, widerstandsfähig“ (EO, S. 47). Maria wird von Anfang an für die Geburt eines neuen Charismas hinzugezogen, weil es ihre Eigenheit ist, ein Kind auszutragen und zur Welt zu bringen: Deshalb verfügt der Herr, wenn es sich um einen Gründer handelt, der vom Heiligen Geist das ursprüngliche Licht des Charismas empfangen soll, dass seine eigene Mutter, die pfingstliche Jungfrau und das unbefleckte Vorbild der Kirche, Lehrmeisterin für ihn sein soll. Nur sie, „voll der Gnade“, versteht nämlich alle Charismen von innen heraus, wie ein Mensch, der alle Sprachen kennt und sie wie seine eigene spricht.[28] Es ist, als ob der Herr des Traums zu dem sehr jungen Johannes Bosco sagen würde: „Vertrage dich von nun an mit ihr“.

„Wir bemerken hier sofort, daß es nicht der kleine Giovanni ist, der sich für Maria entschied, sondern daß es in erster Linie Maria ist, die die Initiative zur Entscheidung ergreift. Sie wird auf Bitten ihres Sohnes Eingebung und Führerin seiner Berufung“.[29]

Diese weiblich-mütterlich-marianische Dimension ist vielleicht eine der herausforderndsten Dimensionen des Traums. Wenn wir diese Gegebenheit gelassen betrachten, verwandelt sich dieser Aspekt in etwas Schönes. Jesus selbst gibt ihm eine Lehrmeisterin, die seine Mutter ist, und „seinen Namen muss er bei Ihr erfragen“; der kleine Johannes soll „mit seinen Kindern“ arbeiten und „Sie“ wird es sein, die für die Kontinuität des Traums im Leben sorgen wird. Sie wird ihn bis zum Ende seiner Tage an der Hand nehmen, bis zu dem Moment, in dem er wahrhaftig alles verstehen wird.

Es ist höchste Absicht, wenn wir sagen, dass bei dem salesianischen Charisma zugunsten der ärmsten, bedürftigsten und am meisten vernachlässigten Kinder das Handeln mit „Güte“, Milde und Liebe sowie die „marianische“ Dimension unverzichtbare Elemente für diejenigen sind, die dieses Charisma leben wollen. Die Gottesmutter hat unmittelbar mit der Bildung zur „Weisheit des Charismas“ zu tun. Daher ist es schwer zu begreifen, wie es im salesianischen Charisma jemanden geben mag, der die marianische Präsenz im Hintergrund lässt (sei es eine Person, Gruppe oder Institution). Ohne Maria von Nazareth sprächen wir von einem anderen Charisma, nicht vom salesianischen Charisma und auch nicht von den Söhnen und Töchtern Don Boscos.

Don Ziggiotti sagt es auf eine wunderbare Weise, wie wir bei der durchgeführten Recherche zu den Kommentaren der Generaloberen zum Berufungstraum gesehen haben:

„Ich möchte alle Salesianer von dieser sehr wichtigen Tatsache überzeugen, die die gesamte Existenz des Heiligen mit himmlischen Licht erfüllt und allem, was Er in seinem Leben tat und sagte, einen unbestreitbaren Wert verleiht: Die Muttergottes, der er bei seiner Geburt von seiner Mutter geweiht wurde, die ihm im Traum mit neun Jahren die Zukunft erleuchtete und dann zurückkehrte, um ihn zu trösten und zu beraten, in tausend Formen, in Träumen, im prophetischen Geist, in der inneren Schau des Zustands der Seelen, in den unzähligen Wundern und Gnaden, die er durch ihre Anrufung erwirkte; die Muttergottes ist alles für Don Bosco; und der Salesianer, der den Geist des Gründers erwerben will, muss ihn in dieser Verehrung nachahmen“.[30]

3.5.      Offen für den Heiligen Geist, im Vertrauen auf die Vorsehung

Gewiss gibt es viel zu lernen. Demütig, stark und widerstandsfähig zu werden, bedeutet, sich auf das vorzubereiten, was uns erwartet. Johannes Bosco sollte gehorsam und offen für die Weisheit des Meisters sein. Er sollte die Veränderungsprozesse sehen und entdecken; er sollte verstehen, dass der Weg, den er mit diesen Jungen geht, zum Leben führt und zur Begegnung mit dem Herrn des Traums und mit dessen Mutter, zu Jesus und Maria. Johannes Bosco hat dies alles entdeckt.

Der Spieleinsatz ist der Gehorsam gegenüber Gott, die Offenheit für den Heiligen Geist. So wie Maria „Dinge geschehen lässt“, das, was Gott gedacht und erträumt hat, in ihr geschehen lässt, bis hin zur Verkündigung des „fiat“ gegenüber Gott, dass der Herr Großes an mir getan hat, so sollte auch der Salesianer, die Don-Bosco-Schwester, alle SMDB, alle Angehörigen der ADMA, jedes Mitglied unserer salesianischen Familie, welche die Familie Don Boscos ist, diesen Stil der Offenheit für den Heiligen Geist lernen und sich zu eigen machen. Ich möchte hinzufügen, dass ich mir wünsche, dass dieser Stil in allen Phasen der Grundausbildung und beim lebenslangen Lernen jeder Gruppe, Kongregation und salesianischen Institution in Fleisch und Blut übergeht. Vergessen wir nicht, dass wir als die „Ausbilder“, die auch „Auszubildende“ sind, die ersten sein sollten, die sich wie Maria vom Heiligen Geist „formen lassen“.

Der Traum bietet wie kein anderes Element der Wirklichkeit das, was man meiner Ansicht nach als „unveräußerliche“ Anzeichen der DNA des Charismas bezeichnen kann. Diese Anzeichen oder „Prinzipien“ können uns dabei helfen, Gegebenheiten zu deuten, zu unterscheiden und schließlich in kreativer Treue zu handeln.

Vergessen wir auch nicht, dass dies eine gemeinschaftliche Aufgabe ist; wir müssen sie als Don-Bosco-Familie zusammen durchführen – in Anlehnung an die jüngsten synodalen Arbeiten könnten wir auch sagen, dass wir sie „synodal“ durchführen müssen.

Sich Don Bosco anzuschließen, indem wir über seinen Traum mit neun Jahren nachdenken, bedeutet auch, seine Hingabe an die Vorsehung zu betonen, uns wie er in das: „Zu seiner Zeit wirst du alles verstehen” einzuordnen. Der Traum selbst war für Don Bosco eine Wirkung der Vorsehung. Das ist die radikale Überzeugung, die grundlegende Entscheidung seines Lebens, das „Wesen der Seele Don Boscos“, der zentrale Punkt, der tiefste und intimste Teil seiner Person. Es besteht kein Zweifel, dass die Hingabe an die göttliche Vorsehung, wie er sie von seiner Mutter gelernt hatte, für unseren Vater entscheidend war und für uns die Garantie für die Kontinuität der salesianischen Spiritualität sein muss. Es ist die Hingabe an Gott, das Vertrauen in Gott, denn der Gott, den Don Bosco zu lieben gelernt hat, ist ein zuverlässiger Gott. Er wirkt tatsächlich in der Geschichte. Er handelte in der Geschichte des Oratoriums, sodass Don Bosco am 2. Februar 1876 zu den salesianischen Direktoren sagen konnte:

„Andere Kongregationen und Orden hatten in ihren Anfängen irgendeine Inspiration, irgendeine Vision, irgendein übernatürliches Ereignis, die den Anstoß zur Gründung gaben und deren Errichtung absicherten; aber meistens blieb es bei einem oder wenigen dieser anfänglichen Ereignisse. Hier bei uns verlaufen die Dinge jedoch ganz anders. Man kann sagen, dass es nichts gibt, was nicht schon vorher bekannt gewesen wäre. Es gab keinen Schritt der Kongregation, ohne dass ein übernatürliches Ereignis ihn empfohlen hätte; keine Änderung oder Verbesserung oder Erweiterung, der nicht eine Weisung des Herrn vorausgegangen wäre … Wir hätten zum Beispiel alle Dinge, die uns widerfahren sind, aufschreiben können, bevor sie geschehen sind, und sie in allen Einzelheiten präzise niederschreiben können“.[31]

3.6.      Aber „nicht mit Schlägen“. Die Kunst der Milde und der erzieherischen Geduld

Der Traum erzählt uns nicht nur von einer Vergangenheit, sondern auch von einer Gegenwart, von einem Heute, das äußerst aktuell ist. Das „Nicht mit Schlägen“, das die Gottesmutter im Traum zu Johannes sagt, fordert uns auch heute heraus und macht es mehr als je notwendig, über unsere salesianische Art und Weise, die jungen Menschen zu erziehen, nachzudenken, weil Hassrede und Gewalt weiter zunehmen. Unsere Welt wird immer gewalttätiger. Wir müssen als Erzieher und Glaubensverkünder für die jungen Menschen eine Alternative sein zu dem, was den jungen Johannes in seinem Traum so ängstigte und uns heute so verletzt. Wie es der Generalobere Don Pascual Chávez im Jahresleitgedanken von 2012 geäußert hat, müssen wir zweifelsohne „ ‚den Wölfen entgegentreten‘, die die Herde verschlingen wollen: der Gleichgültigkeit, dem ethischen Relativismus, falschen Ideologien oder dem Konsumdenken, welches den Wert der Dinge und Erfahrungen zerstört“[32], und anderem, was wirklich verletzt und echte Gewalt darstellt.

Ich denke, dass diese Botschaft heute genauso aktuell ist, wie sie es war, als der kleine Johannes (unser zukünftiger Vater und Lehrer, Don Bosco) sie erhielt.

Das „Nicht mit Schlägen“ ist ein „absolutes Nein“. Es ist sehr eindeutig, und es ist die einzige Korrektur – man könnte fast von einer Zurechtweisung sprechen – die Johannes Bosco im Traum empfängt. Vor allen Dingen ist es für uns eine Gewissheit, eine große Gewissheit, dass der Weg des Zwangs und der Gewalt nicht auf die rechte Bahn des Charismas führt. Die „Schläge“ des Traums können heute tausend Formen annehmen. In der Tat habe ich mich damit beschäftigt, viele der mehr oder weniger subtilen Formen von Gewalt, die uns umgeben und die aus unserem erzieherisch-pastoralen Horizont und aus unserem Charisma insgesamt verbannt werden müssen, zu sichten, zu reflektieren und zu spezifizieren.

„Nicht mit Schlägen“ bedeutet, bewusst und ohne Nachsicht gegen jede Art Gewalt vorzugehen:

–     physische Gewalt, die den Körper verletzt (stoßen, treten, ohrfeigen, in die Enge treiben oder festhalten, mit Gegenständen werfen).

–     seelische und verbale Gewalt, die das Selbstwertgefühl verletzt. Jene Gewalt, die beleidigt und ausschließt, die isoliert, die überwacht und kontrolliert ohne Respekt. Jene Gewalt und jener seelische Missbrauch, die dafür sorgen, dass einige Menschen das Gefühl haben, nie genug von sich selbst herzugeben; jene Gewalt, die dafür sorgt, dass Menschen sich immer als anders oder falsch, ja sogar als unreif betrachten, weil sie gedacht haben, was man ehrlicherweise denkt; jene Gewalt und jener Missbrauch seitens derjenigen, die sich nur für den anderen interessieren, wenn sie davon profitieren wollen.

–     emotionale und sexuelle Gewalt, die den Körper, das Herz und die innersten Gefühle verletzt; die unauslöschliche Zeichen von Schmerz hinterlässt und die sich verbal oder schriftlich äußern kann, mit Blicken oder Zeichen, die Obszönität, Belästigung, Übergriffigkeit und sogar Missbrauch bedeuten.

–     ökonomische Gewalt, bei der dein Geld oder Geld, das für gute Zwecke dient, einbehalten, veruntreut oder gestohlen wird.

–     Gewalt gibt es auch in Form von Cyber-Gewalt, „Cybermobbing“ mit Belästigungen über das Internet, Websites, Blogs, mit Textnachrichten oder E-Mails oder Videos.

–     Gewalt, die aus sozialer Ausgrenzung entsteht, bei der Menschen, Studierende, Heranwachsende ausgegrenzt oder öffentlich gedemütigt werden, ohne jeden Respekt.

Gewalt, die durch Misshandlungen gekennzeichnet ist, durch Verben wie bedrohen, manipulieren, abwerten, zurückweisen, leugnen, in Frage stellen, demütigen, beleidigen, disqualifizieren, verspotten, sich gleichgültig zeigen.

Zweifelsohne verfügen wir mit unserem Charisma über das Gegenmittel für diese Situationen, die dem Leben Schaden zufügen. Es handelt sich um den pastoralen Genius Don Boscos: Wenn „wir andererseits daran denken, daß Maria im ersten Traum des kleinen Johannes Bosco zum ersten Mal jenes Apostolat [„genio apostolico“] bezeichnete, das uns innerhalb der Kirche charakterisiert, so fordere ich Euch auf, unsere Überlegungen auf das geistige Konzept unserer einzigartigen Seelsorge zu konzentrieren – auf die Pädagogik der Vorsorge».[33]

3.7.      SIE, die Dame: Lehrmeisterin und Mutter

Die Frau des Traums stellt sich als Lehrmeisterin und Mutter vor. Sie ist beider Mutter, des erhabenen Herrn des Traumes und des kleinen Johannes; eine Mutter – erlaubt mir die Paraphrase –- die ihn an der Hand nimmt und sagt:

Schau“: Wie wichtig ist es für uns, schauen zu können, und wie schlecht ist es, wenn es uns nicht gelingt, die jungen Menschen in ihrer Realität zu „sehen“, so, wie sie sind; wenn es uns nicht gelingt, das zu sehen, was in ihnen am authentischsten ist, und das, was äußerst tragisch und schmerzhaft in ihnen und in ihrem Leben gegenwärtig ist. „Schau“ ist das erste Wort der „Frau von majestätischer Erscheinung, in einen Mantel gekleidet, der überall leuchtete, als sei jeder Teil davon ein heller Stern” (EO, S. 47).

Ohne dass ich ein einzelnes Verb „überinterpretieren“ möchte, scheint es mir ein „präventives“ Zeichen für den Weg zu sein, den unser Vater in der Tat gehen sollte und der vor allem aus Erfahrungen besteht. Denken wir daran, wie sehr die Augen im Leben Don Boscos zählen … Was er bei seiner Ankunft in Turin sieht – oder besser gesagt, was Don Cafasso ihm zu sehen hilft – lässt unsere Sendung entstehen. Es geht darum, wie er jeden Jungen sieht (denken wir an die ersten Begegnungen in den von ihm geschriebenen Biografien): Dort gibt es ein Incipit, das wie ein Wunder ist, dem der ganze Rest folgt – bei Savio wie bei Magone, bei Cagliero wie bei Rua … Im Museum in Chieri gibt es eine Skulptur, welche die Augen und die Blicke Don Boscos darstellt und 1988 neben seinem Altar aufgestellt wurde. Es gibt etwas Einmaliges in seinem Blick und das „Schau“, das die Frau sagt, ist nicht weniger neu- und einzigartig.

Gerade im Umfeld von „schauen“ lässt sich ein ausdrücklicher Hinweis auf ein Wort finden, das für uns grundlegend ist: Assistenz. Wir wissen alle, wie wesentlich es ist.

Meine Aufmerksamkeit entfernt sich jedoch nicht weit von der Traumwiese in Becchi, weil der kleine Johannes nämlich durch Erfahrung lernt, ohne dass er sich dessen bewusst ist: Er lernt vom Leben, besonders in Momenten extremer Schwierigkeiten und Mühen.

Die Aufforderung: „Schau“ bringt den Menschen dahin, nicht sich selbst im Zentrum zu sehen, sondern das zu erfassen, was über den eigenen Horizont hinausgeht und die eigene Vorstellungskraft übersteigt und was zu Einladung, Herausforderung, Provokation, Anruf und Führung wird. Denn es erfordert eine vollkommene und umfassende Anteilnahme, mit der Johannes sich zum Wohle der Jungen aufopfert. Von hier aus begreift man auch die Bedeutung des Umfeldes in der gesamten salesianischen Pädagogik.

Nichts wird von der unverzichtbaren Sorge um die Innerlichkeit und die Stille weggenommen. Wir sind aufgerufen, den Blick zu heben, sowohl, wenn wir ihn auf des Geheimnis Gottes richten, als auch, wenn wir an dem Mann vorbeigehen, der „von Jerusalem nach Jericho hinab[ging] und […] von Räubern überfallen“ (Lk 10,30) wurde. Das hat den Menschen Don Bosco immer geprägt, von seiner Kindheit bis zu seinem Lebensende.

Lerne“: demütig, stark und widerstandsfähig zu werden, denn es braucht Schlichtheit angesichts von so viel Arroganz; Stärke angesichts so vieler Dinge, die im Leben bewältigt werden müssen, und jene Widerstandsfähigkeit, die Resilienz ist oder auch die Fähigkeit, sich nicht entmutigen zu lassen, nicht die „Arme hängen zu lassen“, wenn man nicht in der Lage zu sein scheint, etwas tun zu können.

Interessanterweise sind es die Ereignisse (also die Erfahrung), die die Vorsehung (sinnbildlich durch Maria) auf Johannes‘ Weg stellt, diesen „milde“ (demütig, stark, widerstandsfähig) machen. Zum Beispiel ist einige Zeit nach dem Traum seine Mutter im Februar 1828 gezwungen, ihn (mit gerade mal zwölf Jahren) aufgrund von Streitigkeiten mit Antonio von zuhause wegzuschicken. Johannes erreicht abends den Hof der Moglia, wo er mehr aus Mitleid als aufgrund eines wirklichen Bedarfs aufgenommen wird – im Winter sucht man keine Knechte. Der Hof ist auf jeden Fall ausreichend weit entfernt, aber gleichzeitig ganz in der Nähe von Moncucco, wo es einen der besten Pfarrer des Bistums Turin gibt, Don Francesco Cottino (über den in unserer salesianischen Literatur bisher wenig zu finden ist). Johannes trifft sich jeden Sonntag mit ihm. Es ist die erste Begegnung auf Augenhöhe, die erste Begegnung mit einem echten Wegbegleiter für Johannes. So wird ein Abschnitt, der lediglich traurig und dunkel hätte sein können, zu einer äußerst wichtigen Chance für seinen Weg. Wir wissen, dass sein Onkel Michele ihn dann am 3. November 1829 zu seiner Familie nach Becchi zurückbringt. Am 5. November wird Johannes dann Don Calosso auf dem Rückweg von Buttigliera treffen.

Ich halte es deshalb für sehr wichtig, die unglaubliche Lenkung und Begleitung durch die Vorsehung stark zu betonen. Johannes entspricht ihr und bringt sich frei ein. Dennoch sind Ereignisse und Personen, die zum richtigen Zeitpunkt aufeinander folgen, die Baumeister dieses „demütig, stark und widerstandsfähig“, das für seine Sendung unerlässlich ist, die unterdessen immer mehr in ihm heranreift.

Es ist also offensichtlich ein Primat der Gnade, der zuallererst für uns gilt, wenn wir bereit sind, uns bilden zu lassen, und der so fruchtbar für die Sendung wird. Bis zu dem Punkt, an dem es keine Grenzen oder Schwierigkeiten mehr gibt, die das Wachstum hin zu jener Fülle des Lebens, zur Heiligkeit, verhindern, ganz gleich in welchem Kontext wir stehen, und sei er noch so herausfordernd.

Natürlich entbindet uns das alles nicht davon, uns mit aller Kraft für die Verbesserung der Verhältnisse und die Überwindung von Ungerechtigkeiten einzusetzen. Don Bosco „verbündet“ sich also mit der Vorsehung, ohne seine eigenen Bemühungen, die Begegnungen, die Ausarbeitung von Arbeitsverträgen zum Schutz der jungen Lehrlinge, die im ersten Oratorium zu Gast waren, einzuschränken. Vor allem nimmt Don Bosco ihnen nicht den Himmel weg! Er weist darauf hin, dass es immer „ein mehr“ gibt, ein höheres Ziel, das alle erreichen können.

Eine ähnliche Lektion erteilt die heilige Mutter Teresa von Kalkutta mit ihrer „nutzlosen“ Hingabe an die Sterbenden der Stadt. Auf einem Plakat, das sie zu Beginn ihres neuen Lebens für die Ärmsten der Ärmsten in ihrem Zimmer aufgehängt hatte, hatte sie mit eigener Hand schwarz auf weiß die folgenden Worte geschrieben: „Da mihi animas, cetera tolle“.

Und seid geduldig“, das heißt, lassen wir uns Zeit für alles und lassen wir Gott Gott sein.

4. EIN TRAUM, DER TRÄUMEN LÄSST

Liebe Mitglieder der Don-Bosco-Familie, ich möchte meinen Kommentar zum Jahresleitgedanken nicht abschließen, ohne die vielen Träume zu nennen, die ich für die jungen Menschen und für uns im Herzen trage. Sie sind mit dem Wunsch gleichzusetzen, in der charismatischen Treue weiter zu wachsen; oder mit der Sehnsucht, dass wir uns durch Veränderungen, die sich für uns als schwierig darstellen, gelassen provozieren lassen. Oder Widerstände, die das lebendige Feuer unseres Charismas ersticken könnten, treiben uns dazu an, den Traum Don Boscos zu verwirklichen, jedoch zweihundert Jahre später!

Ich teile sie mit Euch in der Hoffnung, dass, wer auch immer und wo auch immer in der weiten, salesianischen Welt meinen Kommentar liest, er oder sie spüren möge, dass etwas von dem hier Geschriebenen für ihn oder sie bestimmt ist. Dies scheinen mir einige konkrete Elemente für die Verwirklichung des Traums mit neun Jahren zu sein:

  1. Don Bosco hat uns im Laufe seines Lebens gezeigt, dass nur authentische Beziehungen uns bergen und verwandeln. Papst Franziskus sagt uns dasselbe: „Es reicht also nicht aus, Strukturen zu haben, wenn sich in ihnen keine authentischen Beziehungen entwickeln; es ist die Qualität dieser Beziehung, die evangelisiert“.[34] Deswegen äußere ich den Wunsch, dass jedes Haus unserer salesianischen Familie weltweit ein wahrhaft erzieherischer Raum sei oder werde, ein Raum respektvoller Beziehungen, ein Raum, der hilft, auf gesunde Art und Weise zu wachsen. Darin können und müssen wir den Unterschied machen, denn authentische Beziehungen stehen am Ursprung unseres Charismas, am Ursprung der Begegnung mit Bartolomeo Garelli, am Ursprung von Don Boscos eigener Berufung.
  2. Jede Entscheidung Don Boscos war Teil eines größeren Plans: Gottes Plan für ihn. Daher war keine Entscheidung oberflächlich oder unbedeutend für Don Bosco. Sein Traum war keine Anekdote aus seinem Leben oder einfach ein Ereignis, sondern eine Berufungsantwort, eine Entscheidung, ein Weg, ein Lebensprogramm, das allmählich, so wie es gelebt wurde, Form annahm. Ich träume daher davon, dass jeder Salesianer, jedes Mitglied der Don-Bosco-Familie aufgrund seiner Berufung und seiner Lebenswahl ein tiefes Unbehagen spürt und den Schmerz am eigenen Leib erfährt, wenn so viele Familien und so viele junge Menschen mühevoll und erschöpft tagtäglich ums Überleben oder für ein Leben mit ein wenig mehr Würde kämpfen. Möge niemand von uns sich darauf beschränken, passiver oder gleichgültiger Zuschauer angesichts des Schmerzes und der Ängste so vieler junger Menschen zu sein.
  3. „Der erste Traum, der schöpferische Traum Gottes, unseres Vaters, geht dem Leben all seiner Kinder voraus und begleitet es“.[35] Unser Gott hat einen Traum für jeden von uns, für jeden und jede unserer jungen Menschen, einen für uns von Gott selbst „gezeichneten“ Plan. Das Geheimnis des so sehr ersehnten Glücks eines jeden Menschen liegt gerade darin, die Übereinstimmung und das Zusammentreffen zwischen diesen beiden Träumen zu entdecken: unserem Traum und Gottes Traum. Wir müssen also verstehen, was Gottes Traum für jeden von uns bedeutet, und uns bewusst werden, dass der Herr uns das Leben geschenkt hat, weil er uns liebt, über das hinaus, was wir sind, einschließlich unserer Grenzen. Wir müssen also glauben, dass unser Gott in jedem und jeder von uns große Dinge verwirklichen will! Wir sind alle überaus kostbar und wertvoll, weil ohne einen jeden und eine jede von uns der Welt und der Kirche etwas fehlen würde. Es gibt nämlich Menschen, die nur ich lieben kann, Worte, die nur ich sagen kann, Momente, die nur ich teilen kann.
  4. Ohne Träume gibt es kein Leben. Für die Menschen, für uns alle bedeutet träumen, sich selbst zu entwerfen, ein Ideal und einen Lebenssinn zu haben. Die schlimmste Armut für junge Menschen besteht darin, sie am Träumen zu hindern, ihnen die eigenen Träume zu verbieten oder ihnen erfundene Träume aufzuzwingen. Jeder und jede von uns ist ein Traum Gottes. Es ist wichtig zu entdecken, welches mein Traum ist, welchen Traum Gott für mich hat. Wir müssen versuchen, diesen zu entwickeln, ihn zu verwirklichen, weil es um unser Glück und um das Glück unserer Brüder und Schwestern geht.
    Erinnern wir uns daran, wie Don Bosco gerührt vor Freude weinte, als er am 16. Mai 1887 seinen Traum, der sein Leben, seine Berufung und seine Sendung bestimmte, „verwirklicht sah“.
  5. Gott bewirkt große Dinge mit „einfachen Mitteln“ und spricht zu uns auf vielerlei Arten, auch tief im Herzen, durch unsere Gefühle, die uns bewegen, durch das Wort Gottes, das mit Glauben angenommen, mit Geduld vertieft, mit Liebe verinnerlicht und mit Vertrauen befolgt wird. Helfen wir uns selbst und unseren Jungen und Mädchen, den jungen Menschen, auf das eigene Herz zu hören, die inneren Bewegungen zu entziffern, dem, was in ihnen und in uns wirkt, eine Stimme zu geben, zu erkennen, welche Zeichen oder „Träume“ die Stimme Gottes verraten und welche hingegen das Ergebnis falscher Entscheidungen sind.
  6. „Die Mühen und die Zerbrechlichkeit junger Menschen helfen uns, besser zu werden. Ihre Fragen fordern uns heraus, ihre Zweifel rufen uns auf, uns nach der Qualität unseres Glaubens zu fragen. Auch ihre Kritik ist notwendig für uns, denn nicht selten hören wir durch sie die Stimme des Herrn, der uns zur Umkehr des Herzens und Erneuerung der Strukturen ruft“.[36] Ein authentischer Erzieher versteht mit Klugheit und Geduld das zur Entfaltung zu bringen, was jeder junge Mensch in sich trägt, und er wird sich mit aller Kraft bemühen, eine Beziehung zum Jugendlichen aufzubauen.[37] Ich träume und wünsche mir, jeden Tag in jedem salesianischen Haus weltweit Salesianer und Laien zu treffen, die an das Wunder glauben, das durch die Kraft der salesianischen Erziehung und Evangelisierung verwirklicht werden kann.
  7. Mensch sein heißt „Mensch werden“, sich verwirklichen, sich über die Ergebnisse freuen, die Frucht geduldiger Prozesse sind, mit denen Gott in unser Leben hineinwirkt und eingreift. Ich wünsche so sehr, dass unsere erzieherische Leidenschaft derjenigen Don Boscos ähnelt, der „Vater der salesianischen Liebenswürdigkeit“ war, damit die Jungen und Mädchen in all unseren Niederlassungen weltweit nicht nur ausgebildete Fachkräfte antreffen können, sondern wahrhafte Erzieher und Erzieherinnen, Geschwister, Freunde und Freundinnen, Väter und Mütter.
  8. Don Bosco, der „Priester der Straße“ ante litteram, verausgabte sich buchstäblich bei diesem Vorhaben. Die Salesianer (und alle, die sich von Don Bosco inspirieren lassen) sind so „die Kinder eines Träumers der Zukunft“, aber einer Zukunft, die im Vertrauen auf Gott erbaut wird, im täglichen Eintauchen und Wirken im Leben der jungen Menschen, zwischen den Mühen und Unsicherheiten eines jeden Tages.[38] Deswegen ist die Begegnung mit dem Herrn des Lebens, die Hilfe für jeden jungen Menschen, seinen eigenen Traum, den Traum Gottes für jeden und jede zu entdecken und ihn oder sie bei der Verwirklichung zu unterstützen, das wertvollste Geschenk, das wir den jungen Menschen anbieten können. Wie sehr wünsche ich mir, dass sich das in all unseren Häusern verwirklicht.
  9. Während das Herz Don Boscos in jedem Augenblick schlug, sind wir, die wir „überzeugt sind, dass jeder junge Mensch in seinem Herzen die Sehnsucht nach Gott eingeschrieben hat, gerufen, Gelegenheiten zur Begegnung mit Jesus, der Quelle des Lebens und der Freude für jeden jungen Menschen anzubieten“.[39] Don Bosco würde nicht tolerieren, dass in seinen Häusern seine Söhne und Töchter den Jungen und Mädchen, den Heranwachsenden und jungen Menschen die Begegnung mit Jesus nicht anbieten – auch in der Freiheit, mit der wir heute in den unterschiedlichen Kontexten zum Glauben erziehen. Auch heute sind wir gerufen, ihn bekannt zu machen, zu entdecken, wie Er jeden Menschen fasziniert und den jungen Menschen aus anderen Religionen zu helfen, gute Gläubige ausgehend von ihrem Glauben und ihren Idealen zu sein. Ich träume davon, dass dies in allen salesianischen Häusern weltweit Wirklichkeit wird.
  10. „Das salesianische Werk muss überall auf die ärmsten und bedürftigsten jungen Menschen in der Gesellschaft abzielen und mit ihnen die tausend Mittel einsetzen, die die zuvorkommende Nächstenliebe inspirieren. Don Bosco weinte, weil er so viele Jugendliche sah, die verdorben und ungläubig aufwuchsen. Er hätte gerne seine Acht gebende, ermahnende, belehrende, mit einem Wort zuvorkommende Fürsorge auf alle jungen Menschen der Welt ausdehnen können wollen […]. Deswegen bevorzugte er bei der Annahme von neuen Gründungen Orte, an denen die Jugend durch Vernachlässigung verdorben war“.[40] Ich träume wirklich davon, eines Tages die gesamte salesianische Kongregation mit derselben Hingabe zu sehen, die Don Bosco gegenüber seinen ärmsten Jungen hatte. Ich träume davon, jeden meiner Mitbrüder dabei zu sehen, wie er mit Freude das eigene Leben zugunsten der Geringsten hingibt. In vielen Fällen ist es bereits so. Ich träume, dass jedes unserer Häuser mit dem „Geruch des Schafes“ angefüllt ist, auf den Papst Franziskus heute bei jedem anspielt, der zu einer apostolischen Sendung berufen ist. Ich wünsche es auch für die ganze Don-Bosco-Familie: Niemand darf sich von diesem Ruf ausgeschlossen fühlen.
  11. „Das Leben des Johannes Bosco vor seiner Priesterweihe ist in der Tat ein Meisterstück für einen Berufungsweg“.[41] Papst Franziskus sagt den jungen Menschen zur Berufung: „Ich bin eine Mission auf dieser Erde, und ihretwegen bin ich auf dieser Welt. Folglich muss man bedenken: jede Pastoral ist Berufungspastoral, jede Ausbildung ist Berufung und jede Spiritualität hat mit Berufung zu tun“.[42] So wie es Don Bosco immer tat, betrachte ich es als unsere Aufgabe, jedem jungen Menschen, in jedem unserer Angebote zu helfen, das zu entdecken, was Gott von ihm erwartet, Ideale zu haben, die ihn „hoch hinausfliegen“ lassen, das Beste von sich zu geben und sich zu wünschen, das Leben als Hingabe und Geschenk zu leben.
  12. Maria zeichnet sich durch ihr Sein als Mutter und Beschützerin aus. Als sie sehr jung die Botschaft des Engels empfing, verzichtete sie nicht darauf, Fragen zu stellen. Als sie diese angenommen und „Ja“ gesagt hatte, setzte sie alles ein und riskierte alles. Als ihre Cousine sie brauchte, legte sie ihre eigenen Pläne und Bedürfnisse zur Seite und brach unverzüglich auf. Als der Schmerz ihres Sohnes sie traf, blieb sie eine starke Frau, die ihn stützte und bis zum Ende begleitete. Sie wacht als Mutter und Lehrmeisterin über die Welt der jungen Menschen, die sie suchen, trotz des vielen Lärms und der Dunkelheit entlang des Weges; sie spricht in der Stille und hält das Licht der Hoffnung am Brennen.[43] Ich träume wirklich davon, dass wir in Treue zu Don Bosco unsere Jungen und Mädchen, unsere jungen Menschen sich in diese Mutter verlieben lassen, nicht weniger als in ihn, weil „die Muttergottes […] alles für Don Bosco [ist]; und der Salesianer, der den Geist des Gründers erwerben will, muss ihn in dieser Verehrung nachahmen“.[44]

5. VOM TRAUM MIT NEUN JAHREN ZUM ALTAR DER TRÄNEN

Ich bin am Ende dieses Kommentars angekommen. Ich könnte noch mehr hinzufügen, aber ich glaube, dass das Geschriebene das Herz eines jeden und einer jeden erreichen kann. Das wäre eine ausgezeichnete Nachricht.

Ich will Euch schlicht einladen, Euch eine Minute Zeit zur Verinnerlichung und Betrachtung dieses Textes aus den Memorie Biografiche zu nehmen, der in wenigen Zeilen beschreibt, was Don Bosco gefühlt hat, als er zahlreiche Tränen vor dem Mariahilf-Altar in der Basilika Sacro Cuore in Rom vergoss, wenige Tage nach deren Weihe.

In diesem Augenblick sah und hörte Don Bosco die Stimme seiner Mutter Margareta, die Bemerkungen seiner Brüder und der Großmutter, die den Traum bewerteten und ihn sogar in Frage stellten. Genau in diesem Moment, zweiundsechzig Jahre später, verstand er alles, wie es ihm die Lehrmeisterin angekündigt hatte.

Diese Erzählung bewegt mich jedes Mal. Daher lade ich Euch ein, sie zu lesen und persönlich zu meditieren. Ein weiteres Mal.

„Nicht weniger als fünfzehnmal unterbrach er die Messfeier aufgrund starker Ergriffenheit und vergoss Tränen. Viglietti, der ihm assistierte, musste ihn von Zeit zu Zeit ablenken, damit er weiterfeiern konnte.

Als er ihn nach dem Grund für diese große Erregung fragte, antwortete er [= Don Bosco]: – Ich hatte ganz lebendig die Szene vor Augen, als ich ungefähr mit zehn Jahren von der Kongregation träumte. Ich sah tatsächlich die Mutter und die Brüder und hörte sie nach dem Traum fragen …

Damals hatte die Muttergottes ihm gesagt: ‚Zu seiner Zeit wirst du alles verstehen‘. Zweiundsechzig Jahre mit Mühen, Opfern und Kämpfen waren seit jenem Tag vergangen, als ein unerwarteter Geistesblitz ihm in der Errichtung der Kirche S. Cuore in Rom die Krönung seiner Sendung offenbarte, die zu Beginn seines Lebens geheimnisvolle Schatten warf“.[45]

Ich glaube wahrhaftig, dass Maria, die Helferin der Christen, auch heute weiterhin eine echte Mutter und Lehrmeisterin für unsere ganze Familie ist. Ich bin überzeugt, dass die prophetischen Worte des Herrn Jesus Christus und Mariens im ersten Traum weiterhin Realität an allen Orten sind, wo das Charisma unseres Vaters als ein Geschenk des Heiligen Geistes Wurzeln geschlagen hat. Zudem bin ich mir sicher, dass in jedem Haus über unsere Mühen und Anstrengungen hinaus angewendet werden kann, was Don Bosco über das Heiligtum in Valdocco sagte:

„Jeder Stein ist eine Gnade Mariens, der Helferin der Christen; wir haben nichts ohne Ihr direktes Eingreifen getan; Sie hat sich ihr Haus gebaut und in unseren Augen ist es ein Wunder“.

Sie, die Unbefleckte und Helferin, führe uns weiterhin alle an der Hand. Amen.

Turin-Valdocco, den 8. Dezember 2023

Don Ángel Kard. Fernández Artime, SDB
Generaloberer


[1] F. Motto, Il sogno dei nove anni. Redazione, storia, criteri di lettura, in: «Note di pastorale giovanile» 5 (2020), S. 6.

[2] P. Stella, Don Bosco nella storia della religiosità cattolica. 1. Vita e opere, Rom: LAS 1979, S. 31f.

[3] P. Chávez V., Wie Don Bosco nehmen wir die jungen Menschen als unseren Lebensauftrag an, in: Amtsblatt des Generalrates der Salesianer Don Boscos, 92. Jg. (2012), Nr. 412, S. 37.

[4] F. Motto, Il sogno dei nove anni, a. a. O., S. 6.

[5] G. Bosco, Memorie dell’Oratorio di S. Francesco di Sales dal 1815 al 1855, in: Istituto Storico Salesiano, Fonti salesiane 1. Don Bosco e la sua opera, Rom: LAS 2014, S. 1176. Hier zitiert nach: J. Bosco, Erinnerungen an das Oratorium des hl. Franz von Sales von 1815 bis 1855. Einführung und Anmerkungen von Antonio da Silva Ferreira, hg. v. Institut für Salesianische Spiritualität, München: Don Bosco 2001, S. 46. Im Folgenden zitiert als EO.

[6] F. Rinaldi, Lettera circolare, in: Amtsblatt des Obernrates, 5. Jg. (24. Oktober 1924), Nr. 26, S. 314 [der italienischen Ausgabe].

[7] G. Bosco, Memorie dell’oratorio di san Francesco di Sales dal 1815 al 1855, in: Istituto Storico Salesiano, (saggio introduttivo e note storiche a cura di A. da Silva Ferreira), „Fonti“, serie prima, 4, marzo 1991. Hier zitiert nach EO. Vgl. A. Bozzolo, Il sogno dei nove anni, 3.1 Struttura narrativa e movimento onirico in: A. Bozzolo (Hrsg.), I sogni di Don Bosco. Esperienza spirituale e sapienza educativa, Rom: LAS 2017, S. 235.

[8] A. d. Ü.: Dieser Teilsatz fehlt in der deutschen Ausgabe, aus der hier zitiert wird, findet sich aber in der folgenden Übersetzung: J. Bosco, Erinnerungen. Autobiographische Aufzeichnungen über die ersten 40 Jahre eines Lebens im Dienst an der Jugend, München: Don Bosco Verlag 1988, S. 7.

[9] R. Ziggiotti (hrsg. v. Marco Bay), Tenaci, audaci e amorevoli. Lettere circolari ai salesiani di don Renato Ziggiotti, Rom: LAS 2015, S. 575 [= 45. Jg. (1964), Nr. 235].

[10] Der Salesianerbruder Marco Bay war Professor an der Università Pontificia Salesiana (UPS) in Rom und ist aktuell Direktor des Salesianischen Zentralarchivs in Rom. Er hat mir großzügig seine Untersuchungen zur Verfügung gestellt, die er über die Verweise der vorhergehenden Generaloberen auf den Traum mit neun Jahren durchgeführt hat.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch Don Luis Timossi SDB vom Weiterbildungszentrum in Quito und Don Silvio Roggia SDB, Direktor der Gemeinschaft des seligen Zefirino Namuncurá in Rom, für ihre Anmerkungen und Hinweise danken.

[11] P. Albera, Direzione Generale delle Opere Salesiane, Lettere Circolari di don Paolo Albera ai salesiani, Turin 1965, S. 123 [31. Mai 1913]; vgl. auch S. 315 [20. April 1919] und S. 339 [6. April 1920].

[12] F. Rinaldi, Lettera circolare, in: Amtsblatt des Obernrates der Salesianer Don Boscos, 5. Jg. (24. Oktober 1924), Nr. 26, S. 312-317 [der italienischen Ausgabe].

[13] Ebd.

[14] La commemorazione di un „sogno“ [Die Gedenkfeier eines „Traums“], in: BS, Anno XLIX, 6 (Juni 1925), S. 147.

[15] P. Ricaldone, Strenna del 1935. Fedeltà a Don Bosco santo [Jahresleitgedanke 1935. Treue zum hl. Don Bosco], in: Amtsblatt des Obernrates der Salesianer Don Boscos, 17. Jg. (24. März 1936), Nr. 74, S. 16 [der italienischen Ausgabe].

[16] P. Ricaldone, S. Giovanni Bosco e le vocazioni [Der heilige Johannes Bosco und die Berufungen] in: Amtsblatt des Obernrates der Salesianer Don Boscos, 17. Jg. (24. November 1936), Nr. 78, S. 9 [der italienischen Ausgabe].

[17] R. Ziggiotti, Tenaci, audaci e amorevoli, a. a. O.,S. 129 [= Amtsblatt des Obernrates der Salesianer Don Boscos, 35. Jg. (1954), Nr. 181, S. 3 (der italienischen Ausgabe)].

[18] R. Ziggiotti, Tenaci, audaci e amorevoli, a. a. O.,S. 264 [= Amtsblatt des Obernrates der Salesianer Don Boscos, 39. Jg. (1958), Nr. 201, S. 6 (der italienischen Ausgabe)].

[19] L. Ricceri, Il rinnovamento salesiano passa per la spiritualità missionaria, Rom 25. Januar 1976, in: La parola del Rettor Maggiore. Conferenze, Omelie Buone notti, Bd. 9, Ispettoria Centrale Salesiana, Turin 1978, S. 27f.

[20] Ebd.,S. 28.

[21] E. Viganò, Lettere circolari di don Egidio Viganò ai Salesiani (Rom: Direzione Generale Opere Don Bosco, 1996), S. 10 [= Amtsblatt des Obernrates der Salesianer Don Boscos, 59. Jg. (1978), Nr. 289, S. 10f.].

[22] MB VII, 291. Zitiert in: J. E. Vecchi, Educatori appassionati esperti e consacrati per i giovani. Lettere circolari ai Salesiani di don Juan E. Vecchi. Introduzione, parole chiave e indici a cura di Marco Bay, Rom: LAS 2013, S. 381 [= Amtsblatt des Generalrates der Salesianer Don Boscos, (1998), Nr. 365]. A. d. Ü.: Eigene Übersetzung.

[23] P. Stella, Don Bosco nella storia della religiosità cattolica,Bd. II, S. 32. Zitiert in: J. E. VECCHI, Educatori appassionati esperti e consacrati per i giovani, a. a. O., S.381.

[24] P. Chávez Villanueva, Lettere circolari ai salesiani (2002–2014). Introduzione e indici a cura di Marco Bay. Presentazione di don Ángel Fernández Artime, Rom: LAS 2021, S. 450 [= Amtsblatt des Generalrates der Salesianer Don Boscos, 87. Jg. (2006), Nr. 392, S. 25f.].

[25] F. Motto, Il sogno dei nove anni, a. a. O., S. 8.

[26] Ebd., S. 10.

[27] P. Ricaldone, Il primo centenario dell’opera salesiana [Das erste Jahrhundert des salesianischen Werkes], in: Amtsblatt des Obernrates der Salesianer Don Boscos, 20. Jg. (1939), Nr. 96, S. 3 [der italienischen Ausgabe].

[28] Vgl. A. Bozzolo (Hrsg.), Il Sogno dei nove anni. Questioni ermeneutiche e lettura teologica, Rom: LAS 2017, S. 264.

[29] E. Viganò, Lettere circolari di don Egidio Viganò ai Salesiani (Rom: Direzione Generale Opere Don Bosco, 1996), Bd. 1, S. 10 [= Amtsblatt des Obernrates der Salesianer Don Boscos, 59. Jg. (1978), Nr. 289, S. 10f.].

[30] R. Ziggiotti, Tenaci, audaci e amorevoli, a. a. O.,S. 264 [= Amtsblatt des Obernrates der Salesianer Don Boscos, 39. Jg. (1958), Nr. 201, S. 6 (der italienischen Ausgabe)].

[31] F. Motto, Il sogno dei nove anni, a. a. O.,S. 7.

[32] P. Chávez, «Wie Don Bosco nehmen wir die jungen Menschen als unseren Lebensauftrag an.». Erstes Jahr der Vorbereitung auf die Zweihundertjahrfeier seiner Geburt. Jahresleitgedanke 2012, in: Amtsblatt des Generalrates der Salesianer Don Boscos, 92. Jg. (2012), Nr. 412, S. 1-41; hier S. 36.

[33] E. Viganò, Lettere circolari di don Egidio Viganò ai Salesiani (Rom: Direzione Generale Opere Don Bosco, 1996), Bd. 1, S. 31 [= Amtsblatt des Obernrates der Salesianer Don Boscos, 59. Jg. (1978), Nr. 290, S. 3].

[34] XV. Ordentliche Generalversammlung, Die Jugendlichen, der Glaube und die Erkenntnis der Berufung. Abschlussdokument. 27. Oktober 2018, Vatikanstadt, Nr. 128.

[35] Papst Franziskus, Nachsynodales Schreiben Christus vivit an die jungen Menschen und an das ganze Volk Gottes, 25. März 2019, Nr. 194.

[36] XV. Ordentliche Generalversammlung, Die Jugendlichen, der Glaube und die Erkenntnis der Berufung. Abschlussdokument. 27. Oktober 2018, Vatikanstadt, Nr. 116.

[37] Vgl. 23. GK, Nr. 99.

[38] Vgl. F. Motto, Il sogno dei nove anni, a. a. O.,S. 14.

[39] R. Sala, Il sogno dei nove anni. Redazione, storia, criteri di lettura, in: „Note di pastorale giovanile“ 5 (2020), S. 21.

[40] F. Rinaldi, Il sac. Filippo Rinaldi ai Cooperatori ed alle Cooperatrici Salesiane. Un’altra data memoranda, in: BS Anno XLIX, 1 (Januar 1925), S. 6.

[41] E. Viganò, Lettere circolari di don Egidio Viganò ai Salesiani (Rom: Direzione Generale Opere Don Bosco, 1996), Bd. 2, S. 589 [= Amtsblatt des Obernrates der Salesianer Don Boscos, 66. Jg. (1985), Nr. 313, S. 7].

[42] Papst Franziskus, Nachsynodales Schreiben Christus vivit an die jungen Menschen und an das ganze Volk Gottes, 25. März 2019, Nr. 194.

[43] Vgl. ebd., Nr. 43-48, 298.

[44] R. Ziggiotti, Tenaci, audaci e amorevoli, a. a. O.,S. 264 [= Amtsblatt des Obernrates der Salesianer Don Boscos, 39. Jg. (1958), Nr. 201, S. 6 (der italienischen Ausgabe)].

[45] MB XVIII, 341 [A. d. Ü.: eigene Übersetzung].




Ein Jahr der Träume von oben

Liebe Freundinnen und Freunde, wir stehen an der Schwelle zu einem neuen Jahr, 2024, einem ganz besonderen Jahr, denn wir begehen den zweihundertsten Jahrestag des Traums Don Boscos im Alter von 9 Jahren. Dieser Traum war viel mehr als eine bezaubernde Episode eines 9-jährigen Jungen; er war wie ein Visionstraum und eine Vorahnung dessen, was er im Laufe seines Lebens tun sollte.

62 Jahre später, als er seine erste und letzte Messe in der zwei Tage zuvor geweihten Herz-Jesu-Basilika in Rom feierte, brach Don Bosco mehr als 15 Mal in Tränen aus, weil er wie in einem Film in rascher Abfolge alle Szenen seines Lebens ablaufen sah und erkannte, dass er immer von der göttlichen Vorsehung geleitet und insbesondere von der Hand der Muttergottes, der Helferin der Christen, geführt worden war, so dass er sagen konnte: „Sie hat alles getan“.

Jener Silvesterabend von 1862
Dieses Gedenken bringt mich dazu, an einen bedeutenden Silvesterabend im Leben Don Boscos zu denken. Es war der erste Januar 1862.
In den Biographischen Memoiren wird berichtet, dass Don Bosco, der bis zum Vortag krank war, allen Bewohnern des Oratoriums, ob jung oder alt, eine wichtige Nachricht zu überbringen hatte. „Es ist unmöglich, die Erregung zu beschreiben, die durch Don Boscos Versprechen ausgelöst wurde und die in der Zwischenzeit alle Jugendlichen in Aufregung versetzte. Mit welcher Ungeduld verbrachten sie die Nacht vom 31. Dezember auf den 1. Januar und den folgenden Tag! Mit welcher Ungeduld warteten sie auf den Abend, um zu hören, was der gute Vater ihnen sagen würde!“, erzählt Don Lemoyne. „Schließlich, nach den Gebeten, warteten die jungen Männer in tiefem Schweigen auf Don Bosco, der seinen Stuhl erhob und das Geheimnis lüftete und sagte: – Die Strenna (Glückwunschgabe), die ich euch gebe, gehört nicht mir. Was würdet ihr sagen, wenn die Muttergottes selbst käme, um zu jedem von euch ein Wort zu sagen? Wenn sie für jeden einen eigenen Zettel vorbereitet hätte, um ihm zu zeigen, was er am meisten braucht, oder was sie von ihm will? Nun, genau so ist es. Die Muttergottes gibt jedem ein Geschenk! Ich sehe, dass einige das wissen wollen und fragen werden: – Wie ist das geschehen? Hat die Muttergottes selbst die Zettel geschrieben? Hat die Muttergottes selbst zu Don Bosco gesprochen? Ist Don Bosco der Sekretär der Muttergottes? – Ich antworte: Ich sage euch nichts weiter als das. Ich habe die Zettel geschrieben, aber wie es dazu gekommen ist, kann ich nicht sagen, und es gibt auch niemanden, der es auf sich nehmen würde, mich zu befragen, denn das würde mich ins Unrecht setzen. Jeder soll sich damit begnügen zu wissen, dass der Zettel von der Muttergottes kam. Das ist etwas ganz Besonderes! Ich habe mehrere Jahre lang um diese Gnade gebeten, und ich habe sie endlich erhalten. Jeder von euch sollte daher diese Mitteilung so betrachten, als käme sie aus dem Mund der Jungfrau Maria selbst. Kommt also in mein Zimmer, und ich werde jedem von euch seinen eigenen Zettel geben“. Don Bosco konnte dies sagen, weil er selbst im Alter von neun Jahren von der Muttergottes die Botschaft erhalten hatte, die sein ganzes Leben prägen sollte.
In Fortsetzung der Erzählung jenes Abends begannen die Salesianer, an Don Boscos Zimmer vorbeizugehen, um ihren Zettel abzuholen. Viele enthüllen sie. Derjenige, der auf Don Bonetti ausgestellt war, der die tägliche Chronik schrieb, lautete: Vermehre die Zahl meiner Kinder.  Der gute Priester schrieb diese Empfehlung in seine Chronik und fügte hinzu: „In der Zwischenzeit, meine liebste Mutter, du, die du mir einen so lieben Rat gegeben hast, gib mir die Mittel, ihn in die Tat umzusetzen, und sorge dafür, dass ich diese schöne Zahl wirklich vergrößere, aber auch, dass ich in sie einbezogen werde“.
Auf dem Zettel für Don Rua hieß es: „Wende dich vertrauensvoll an mich, wenn eure Seele etwas braucht“.
Am nächsten Morgen drängten sich die jungen Männer an der Tür des Zimmers von Don Bosco, um ihren Zettel in Empfang zu nehmen. Ich kann mir gut vorstellen, wie Don Bosco es verstand, das Herz eines jeden Salesianers und eines jeden Jungen im Oratorium zu erreichen, nicht mit einer Erfindung, sondern mit der tiefen Überzeugung, was die Muttergottes für jeden von ihnen wollte, und gleichzeitig gelang es ihm, dies auf jene Art und Weise zu tun, in der Don Bosco immer ein wahrer Meister und ein wahres Genie war: Ich meine die Kunst der persönlichen Begegnung, des Dialogs, des Blicks, der tief ins Herz reicht.
Und als ich das las, fragte ich mich, ob das nicht auch bei uns passieren könnte. Wir haben an viele Menschen Grußkarten geschickt. Wenn Maria, die Allerheiligste, eine Karte an die salesianische Kongregation und an jeden von uns, an die schöne und große salesianische Familie, die Familie Don Boscos, geschickt hätte, was hätte sie wohl geschrieben?

Gehen wie Don Bosco
Es ist schön, sich das vorzustellen. Ich versichere euch, dass es in meiner Vorstellung so viele schöne Dinge gibt, die die Muttergottes von uns persönlich und als Familie Don Boscos verlangen könnte, die geboren wurde, um die Jungen und Mädchen der Welt – vor allem die ärmsten und bedürftigsten – in ihrem Prozess des Wachstums, der Reifung, der Verwandlung zu begleiten…
Das Geheimnis des neuen Jahres, das im Grunde das Weihnachtsgeheimnis weiterentwickelt, sagt uns: „Du bist nicht von der Vergangenheit abhängig. Du kannst heute neu beginnen, denn es ist etwas Neues in dir. Nimm das göttliche Kind in deine Arme, das dich mit all dem Neuen in Berührung bringt, das in deiner Seele vorhanden, echt und unversehrt ist. Beginne wieder mit den Kleinen, den Jungen. Vertraue auf das Neue in dir! Jeder Tag ist der erste Tag“.
Vielleicht würde es genügen, sich die Worte zu eigen zu machen, die Maria im Traum zu Johannes Bosco sagt: „Hier ist dein Feld, hier musst du arbeiten. Mache dich demütig, stark und widerstandsfähig“. Vielleicht hätte man einen „spirituelleren“ Rat erwartet, aber nur wer demütig ist, kann gütig sein, weil er die Gegenwart der anderen genießen kann. Die Demut ist das Tor der Liebe zu den Kleinen, den Hilflosen, den vom Leben Verwundeten.
Nur wer fest und stark ist, kann heute trotz allem hinter Jesus hergehen. Denn wir wollen, dass die Gefangenen frei sind und die Unterdrückten nicht mehr unterdrückt werden; und an welche Botschaft können die Armen noch glauben?
Es geht darum, auf die Stimme des brennenden Dornbuschs zu hören, die niemals vergehen wird: „Ich werde eure Ketten zerbrechen und euch erhobenen Hauptes gehen lassen“. Maria möchte, dass die Salesianer und ihre ganze Familie, die schöne Familie Don Boscos aller Zeiten, wie Don Bosco gehen. Und die beste Garantie dafür wird immer sein, Sie als die wahre Lehrerin zu haben, die vor allem Mutter ist. Eine wahre Gnade für unsere Familie.
So haben es die Generaloberen im Laufe unserer Geschichte ausgedrückt. Wie mein Vorgänger Don Ziggiotti: „Ich werde dir die Lehrerin geben, unter deren Aufsicht du weise werden kannst, und ohne die alle Weisheit zur Torheit wird“, so lautet das schicksalhafte Wort des ersten Traumes, ausgesprochen von der geheimnisvollen Gestalt, „dem Sohn derjenigen, die deine Mutter dir aufträgt, dreimal am Tag zu grüßen“. Es ist also Jesus, der Don Bosco seine Mutter als Lehrerin und unfehlbare Führerin auf dem schwierigen Weg seines ganzen Lebens gibt. Wie können wir für dieses außergewöhnliche Geschenk des Himmels an unsere Familie nur dankbar sein?“.
Ein frohes neues Jahr 2024 mit meinen besten Wünschen für jeden von Ihnen und Ihre Familien. Möge es ein wunderschönes Jahr für uns alle werden und ein Jahr des Friedens für diese immer noch leidende Menschheit.